Ernst M. Binder
Jeder ein kleiner Dänenprinz
Kaum ein Satz in der Weltliteratur wird so oft zitiert wie jenes berühmte
SEIN ODER NICHT SEIN. Es ist eine dieser Fragen, die sich ein Bauarbeiter
genauso stellt wie ein Drogensüchtiger. Es wird von Philosophen genau
so hinterfragt wie von Generälen. Es ist einer dieser Sätze,
die kein Copyright beanspruchen, weil sie aus der Not geboren wurden.
Und es drängt sich in diesem Zusammenhang die Frage auf, ob Shakespeare
sein Drama HAMLET nicht um diesen Satz herum geschrieben hat, um das Augenmerk
auf diese Not zu lenken. Umgeben von Leben pur in all seinen Auswüchsen:
seinen Leidenschaften, seinen Verzweiflungen stehen auch wir da, ein jeder
ein kleiner Dänenprinz: entkleidet und ausgesetzt.
>Rudi
Widerhofer hat sich Hamlet angeeignet und von allem Pomp und Plüsch befreit, ohne sich durch eine plakative
Übersetzung beim Zeitgeist anzubiedern. Im Rahmen des Projekts PIvot
wird diese Figur dem Leben dort ausgesetzt, wo Leben pulsiert. Hamlet
vom laut dröhnenden Event in die Stille der Nacht zu stoßen,
es von der Schmierenkunst und den Eitelkeiten eines Stadttheaters zu befreien
war das Anliegen dieser Auseinandersetzung, deren Ergebnis dramagraz denn
auch nicht auf einer Theaterbühne, sondern in Hintersälen von
Gasthäusern und Pfarrheimen zeigen wird. Das Bühnenbild wird
der Raum sein, der Leben atmet, in dem Hochzeiten gefeiert werden, beim
Totenmahl eines Toten gedacht wird, im Fasching die Narren den Winter
vertreiben, und in dem Hamlet nun – angekommen und zugleich zurückgeblieben
– in der Mitte des gefrorenen Sees steht, am Ufer die Geister der
Lebenden und der Toten, nicht voneinander zu unterscheiden und so wenig
voneinander getrennt wie Gut und Böse, oder Mann und Frau.
Das
Eis trägt dich.
Die Stille gehört jetzt ganz dir.
Die Bergrücken umkreisen dich.
Es gibt nur noch dich.
Jetzt gibt es nur noch dich.
Es ist keiner mehr da.
Jetzt wo du geboren, ist keiner mehr da.
Das Flirren der Kälte.
Das Knochengerüst.
Vom Wind zerweht.
Fetzen aus Haut und Gedanken.
1)
Als
Ausgangspunkt für diese Arbeit steht die Frage nach dem Sinn der
Einmaligkeit der Existenz Pivots, wenn diese ihm nun nur noch den Blick
auf ihn selbst zuließe: Das schwarze Loch, das ihm immer als etwas
Dunkles außerhalb von sich selbst liegend erschienen war, war plötzlich
nun er selber. Über den Versuch, sich so sehr zu verallgemeinern,
dass jedes menschliche Lebewesen ihn verstehe, hatte er sich so sehr mit
Leere vollgesaugt, dass die Gravitation der Erde ihn kaum noch auf dem
Boden zu halten vermochte.
Und es wurde ihm immer bewusster, dass der Moment
kommen würde, da kein Spiegel mehr sein Gesicht zeigen und keine
neuen Sterne mehr entstehen würden. Wenn der Gasvorrat der Galaxien
erschöpft sein würde, würden alle Sterne (die ihm auch
als Sinnbild für seine Existenz erschienen) unserer Galaxis und auch
die aller anderen Galaxien ausgebrannt sein, und nirgendwo würde
mehr eine Supernova explodieren und frisches Material für neue Sterne
ins All schleudern. Von da an würde es finster sein im Universum
wie in ihm jetzt.
So wird das Benennen des Alltäglichen zu einem
philosophisch-physikalischen Diskurs über Kulturräume und Denkmuster,
und nicht zuletzt über Sein oder Nicht-Sein: Die Frage nach dem Sinn
des Daseins mutiert zu einer endlos um sich selbst kreisenden rein existentiellen
Frage, die plötzlich nicht nur ihn persönlich, sondern weit
über ihn hinaus die Zukunft der Menschheit betrifft.
Man
muß das Denken abstellen. Man muß das Denken ausschalten. Es muß einmal
eine Ruhe sein. Man muß das Denken aufgeben. Man muß aufhören zu denken.
Der Kopf muß einmal aufhören zu denken. Der Denkprozeß muß eingestellt
werden. Es sollte im Kopf ein Wetter geben und aufgrund des Wetters sollte
der Denkprozeß eingestellt werden müssen. Es sollte im Kopf immer ein
schlechtes Wetter sein müssen. Es sollte Eis und Schnee sein im Kopf,
sodaß man nicht hinausgehen könnte im Kopf. Man sollte das Denken daheim
lassen müssen und in Ruhe lassen müssen. Es sollte Stille sein im Kopf.
Ein Stillstand. Eine Leere. Nichts. Man müßte es kalt haben im Kopf. Man
müßte den Kopf einfrieren. Man müßte den Kopf in den Kühlschrank stecken
und eine Ruhe haben. Man müßte den Nordpol im Kopf haben. 2)
Wenn
nämlich die Theorien der Elementarteilchenphysiker stimmen, so eine
durchaus logische Schlussfolgerung, dann löst sich auch die Materie
insgesamt auf. Nach etwa 1032 Jahren zerfallen nämlich selbst die
Protonen, die elementaren Bausteine der Materie, in Positronen und Photonen.
Treffen die Positronen auf ein Elektron, so verdichten sich die Teilchen
gegenseitig, und es bleiben nur noch Photonen übrig. Letztlich wird
also die gesamte feste Materie, werden alle Stern- und Planetenreste in
Strahlung verwandelt sein. Dann gibt es im Universum nur noch gigantische
schwarze Löcher, die in einem allumfassenden Meer von Photonen und
Neutrinos schwimmen.
Sieht so die Ewigkeit aus?
"Ich werde in die Welt schauen, als ob ich ihr
noch nie begegnet wäre", hieße denn auch die Konsequenz.
"Ich werde ein vierblättriges Kleeblatt finden und es dem Menschen
schenken, den ich am meisten liebe. Es wird alles so sein, wie es noch
nie war."
1) Ernst M. Binder
2) Rudi Widerhofer
|