Die zwei Paare Charlie
und Birgit, Joe und Monika verbringen einen lustlosen,
gewitterschwülen Nachmittag. Mit hyperrealistischer
Detailfreudigkeit protokolliert der Autor Wolfgang Bauer ihre
halbherzigen Fluchtversuche vor der eigenen Ideen- und
Antriebslosigkeit: Platten werden gehört, Drogen konsumiert,
Bücher- und Polsterschlachten geschlagen und Beischlafversuche
unternommen; belanglose Dialoge verlaufen ins Leere.
Das Aufbegehren gegen
den Leistungsdruck einer biederen Gesellschaftsordnung
erschöpft sich in Untätigkeit und fehlendem
Handlungswillen, die Revolution frisst keine Kinder, sondern stopft
wahllos Kulturmüll in sich hinein. Ab und zu entlädt
sich die angestaute Aggression auf sich selbst und das
Gegenüber und aus den kindisch-regressiven Spielchen wird
plötzlich Ernst: böse Worte schneiden schwer
verheilende Wunden, Haare werden ausgerissen, Glieder verdreht und
schließlich bricht Joe Monika sogar das Nasenbein. Wenn gegen
Ende des Stücks ein Globus im Klo hinuntergespült
wird, ist die Welt der vier Möchtegern-Bohemiens bereits den
Bach runter gegangen. Denn totgeschlagen wird in diesem Stück
nicht nur die Zeit: Joe wird den Nachmittag nicht überleben.
1967 am Hannover
Schauspielhaus uraufgeführt zählt Magic Afternoon als
undogmatische Schilderung von Orientierungslosigkeit,
Wohlstandsverwahrlosung und Selbstfixiertheit einer (selbsternannten)
Subkultur zu den Klassikern der österreichischen Moderne.
Ernst M. Binder hat
Magic Afternoon bereits 1987 inszeniert und wird die ungebrochene
Aktualität des nun 40 Jahre alten Werks im Rahmen des Wolfgang
Bauer-Schwerpunktes unter Beweis stellen.
BEGLEITTEXT ZUR INSZENIERUNG
„Ob jeder Zuschauer sein Packerl
heim
tragen kann, kommt darauf an, was er tragen kann.“
Wolfi Bauer
„Kleinstadt, öde, endlos sich hindehnende Sonntagnachmittage,
saufen,
haschen, huren, man hält sich befreit von allen Zwängen, Tabus,
Konventionen, doch da ist keinerlei Befriedigung, kein neuer Weg,
keine
neue Möglichkeit, da ist gar nichts, nur die große Langeweile.“ -
so
lautet die Essenz von MAGIC AFTERNOON, zumindest wenn es nach der
Aussage
des Autors Wolfgang Bauer geht. Angesichts eines Klassikers – und
als
solches wird das 1967 entstandene, 1968 in Hannover uraufgeführte
Werk
bereits gehandelt - sieht sich jedes Theater mit der Frage
konfrontiert,
ob und in welcher Form ein Stück noch zeitgemäß ist - vor allem
wenn es
sich wie bei MAGIC AFTERNOON um einen Text handelt, der laut
Uraufführungskritik als „detailgenaue Schilderung eines Submilieus
den
Geist seiner Zeit wiederzugeben“ wusste.
Da die Einwohnerzahl in Graz seit 1970 nicht signifikant gestiegen
ist,
darf man die steirische Landeshauptstadt getrost noch als Kleinstadt
bezeichnen. Vergleicht man sonntägliche Veranstaltungskalender aus
dem
Jahre 1967 mit aktuellen Terminlisten, findet man heutzutage zwei
bis drei
Einträge mehr, was bei einer Stadt, die unter dem Logo
Kulturhauptstadt
firmiert, wohl eher als bescheidene kulturelle Entwicklung
anzusehen ist.
Drogen sind nach wie vor ein
probates
Mittel, sich die Anwesenheit im Jammertal der Existenz zu
verschönern,
ohne es verlassen oder gar verändern zu müssen. Da Saufen
auf Dauer
den Körper unvorteilhaft aussehen lässt, weicht man mitunter auf
Antidepressiva aus. Wer nicht mit rosig frischem Teint stets
zufrieden und
glücklich strahlt, hat schließlich ein Problem mit seinem
Selbstwert und
sollte sich fragen, ob er in seinem Leben nicht grundsätzlich
etwas falsch
macht. Während die 68er noch gegen die Lust- und
Genussfeindlichkeit der
Gesellschaft ankämpfen durften und freizügiger Sex als
provokativer
revolutionärer Akt aufgefasst werden konnte, ist heute ein
erfülltes,
polygames Sexualleben Pflicht eines jeden vollwertigen Mitglieds
der
Gemeinschaft. Trotz der omnipräsenten nackten Leiber in den Medien
darf
man sich selbst niemals die Blöße geben, in sexuellen Belangen
nicht
allzeit bereit zu sein.
Die Befreiung von Zwängen, Tabus
und
Konventionen scheint in fast allen Bereichen des
gesellschaftlichen
Alltags stattgefunden zu haben. Der Kapitalismus kennt keine
Grenzen -
weder geografisch, noch moralisch. Jeder neue Weg, jede neue
Möglichkeit wird zur Marke, jedes Nein wird in den globalen
Warenzusammenhang integriert: Che Guevara-T-Shirts und
Anarchoflaggen
bestellt man per Kreditkarte im Onlineshop, der
Antiglobalisierungssong
führt weltweit die Hitparaden an. Sämtliche Ideologien und
Lebensprinzipien gibt es im Sonderangebot zur freien Entnahme. Man
darf
sie sich selbst zusammenstellen. Umtausch jederzeit möglich. Das
Leben
ähnelt den unreglementierten Spielen, mit denen sich die
Protagonisten in
Bauers Stücken die Zeit zu vertreiben pflegen: dem Free Schach
bzw. dem
Bürgerspiel in „Gespenster“, der Bücherschlacht und den
eingekifften
Sprachspielen in „Magic Afternoon“, etc. Auch Musik, Kino und
Literatur
erfüllen den Zweck, ohne Risiko „Action“ und Emotion zu
konsumieren, die
einem in Eigenproduktion zu viel an Entscheidung und Aktivität
abverlangen
würden. Doch wenn Spiel, Buch, Film und Song zu Ende sind, steht
man
wieder vor dem angefangenen Tag, dem Nichts, der Leere. Eine
Befriedigung
der Sehnsucht nach „echtem“ Leben, eine dauerhafte Befreiung von
der
Banalität des Alltags ist nicht eingetreten. Was folgt ist die "große
Langeweile", die viel zitierte „Wiederkehr des ewig Gleichen“.
1969 ging ein Teil des Publikums
noch zum „Ausgeflippte-Schauen“
ins Wiener Ateliertheater, wo die österreichische Erstaufführung
von MAGIC
AFTERNOON stattfand. Der „ordinäre Ton“, die „grässliche Musik“
und das
„exzessive Besäufnis auf der Bühne“ brüskierten Zuschauer und
Rezensenten
gleicher Maßen. Viel von diesem exotischen und provokanten
Potential hat „Magic
Afternoon“ inzwischen eingebüßt, denn – und das spricht für die
ungebrochene Aktualität des Stückes - das Lebensgefühl der Clique
hat sich
in allen Alters- und Einkommensschichten breitgemacht. Hält man
sich
allerdings an die Interpretation Peter Handkes, so bräuchte das
Bühnengeschehen in MAGIC AFTERNOON ohnehin „keine Bedeutung über
sich
hinaus, es ist für sich allein spannend“. In erster Linie sollte
man daher
der Aufforderung Wolfi Bauers Folge leisten und zusehen, zuhören –
bzw.,
um es mit seinen Worten zu sagen: „Das wär’s Freunde schaut hin!
DA
SCHIMMERT SCHUUUUUN – THE MAGIC AFTERNOON…“