BECKETT. SILENCE
Wörter sind nur Geräusche.
Welches Geräusch macht wenig Unterschied.
Die wesentliche Frage ist:
lebst du oder be-stehst du auf Wörtern?
Wenn du, ehe du lebst,
durch ein Wort gehst, dann ist das ein Umweg.
(John Cage)
Der Mensch ist in der
heutigen Gesellschaft einer ständigen akustischen und visuellen
Reizüberflutung ausgesetzt; beinahe alle Tabus sind sagbar und werden
früher oder später medial ausgeschlachtet; Redegewandtheit und die
Bereitschaft zur Selbstdarstellung zählen zu den conditiones sine qua
non der sozialen Interaktion. Pausen, Lücken, Auslassungen, Leerstellen
werden als unhaltbare, schwer erträgliche Situationen empfunden. Sie
stellen sich nur mehr als Fehler, als Unfälle ein - wenn die
Telefonleitungen überlastet, Grundregeln des Small Talks missachtet und
Erklärungen aus Zeitmangel nicht zu ihrem plakativen Ende geführt
werden.
Selbst im
schalldichten Raum sind wir vor dem Rumoren der Außenwelt nicht
geschützt; der Lärm dröhnt bereits aus unserem Inneren, nistet zwischen
unseren Schädelknochen. Der Zwang zur Kommunikation hat sich unseren
Körpern eingeschrieben. Wir haben uns ein permanent anwesendes DU
geschaffen, das dem ICH nicht erlaubt, in Stille nur DA zu sein. Das
Selbst kann nur mehr in vorgefertigten Sprachschablonen gedacht, das
Leben an sich nur in gesellschaftlichen Kategorien wie Karriere,
Reichtum und Ansehen begriffen werden.
„Im Anfang war
das Wort“, heißt es in der Genesis. Was am Ende steht, darüber erteilt
der Verfasser keine Auskunft; doch steht zu befürchten, dass die
Schöpfung „weder in einem Knall noch mit einem Gewimmer enden, sondern
mit einer Schlagzeile, einem Slogan oder einem Groschenroman“ (George
Steiner) untergehen wird.
Schon die
Mystiker wussten von der Unmöglichkeit, spirituelle Erfahrungen in für
andere mitteilbare Form zu übersetzen. Auch dem säkularisierten Menschen
verschlägt es angesichts seiner eigenen Gefühlswelt die Sprache. Das
konventionelle Zeichensystem versagt im Bereich des Wesentlichen. Es
schweigt, wie es Wittgensteins Unsagbarkeitstopos vorschreibt. Doch das,
wovon wir nicht sprechen können, das, was sich nicht in Wort und Bild
fassen lässt, hat in einer Medien- und Informationsgesellschaft keine
Relevanz. Es ertrinkt im Strom der Rede, wird von der Bilderflut hinweg
geschwemmt.
Mit
BECKETT.SILENCE unternimmt Ernst M. Binder den Versuch, dem Sprach- und
Zeichenlosen, dem Undefinierbaren wieder Raum zu geben. Die
Konfrontation mit dem Schweigen, dem Nichts, soll den Blick auf das
Verschüttete, Verdrängte, Vernachlässigte öffnen und eine Stille
erzeugen, die niemals als Negation von Etwas entstehen kann, sondern als
Idee, als transzendentaler Zustand individuell erlebt werden muss.
Dem Stücktext
zu Grunde liegen Becketts TEXTE UM NICHTS, die Binder als Vorlage, als
formales und inhaltliches Denkmuster dienen. Auch aus anderen Werken des
Dichters werden Figuren, Situationen und Fragestellungen aufgegriffen
und auf abstrakt-poetischer Ebene weitergeführt. So weist die Aufführung
durchaus Parallelen zu WARTEN AUF GODOT auf; allerdings findet sich auf
der Bühne kein Bäumchen mehr, Tag und Nacht werden durch Neonlicht
außer Kraft gesetzt. Was jedoch bleibt, ist die Suche nach den
elementaren Realitäten unseres Daseins, nach dem verlorenen Staunen
angesichts des Kosmos und nach jener Würde, die nur aus dem Bewusstsein
des Ausgesetzt-Seins erwächst.
Die
Kompositionen Josef Klammers unterstützen dieses Vorhaben, indem sie die
zentralen Motive des Projektes - das beredte Schweigen, das tonlose
Sprechen, das bedeutungsleere Gemurmel, die Stille, die manchmal sehr
laut sein kann (John Cage) - musikalisch umsetzen und sensibel
ziselierte Klangflächen schaffen, an deren Rändern sich das Schweigen
entlang tasten kann. Klammer generiert aus von den Schauspielern
gesprochenen Lautfolgen und Textversatzstücken eine Stimme ohne Körper,
die dem natürlich artikulierten, spontanen Bühnenwort gegenüber steht.
Drei Pressluftflaschen - drei zusätzliche, stimmbandlose Akteure aus
Stahl mit 200 bar Druck – sprechen in rhythmischen Sequenzen
komprimierte Luft ins Publikum und machen Rhythmus und Modulationen
ihres Vortrags nicht nur akustisch, sondern auch haptisch erfahrbar.
(Alexandra Rollett)
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