Im
Keller, da sind die Leichen vergraben.
Zuhause
schwebt man wie auf Wolke Drei.
Im
Himmel sind wir nur mehr UNS verpflichtet.
Schon
für das Wiener Volkstheater hat Elfriede Jelinek 1999 einen
Epilog zur
Leseaufführung von WOLKEN.HEIM geschrieben. Nun inszeniert Claus
Peymann
am Berliner Ensemble diese Textlandschaft "Deutschheit", in dem
die Nobelpreisträgerin
Dichter und Philosophen wie Novalis, Kleist, Fichte, Hegel und
Heidegger,
aber auch aus den Briefen der RAF zitiert und in dem sich die
deutsche
Dichtersprache selbst inszeniert. Für diese Aufführung hat
Jelinek nun
ebenfalls einen kommentierenden Epilog geschrieben: Hier kommen
nicht
die großen Heroen deutscher Nation, hier kommt die liberale
Weltsicht
zu Wort, und darf sich als Gedankenmüll entlarven, der durchaus
von den
Müllhalden der Nazi-Zeit stammen könnte. Die Dichterin als
Kassandra,
in deren Prophezeiungen die Schöne Neue Welt der New Economy als
postfaschistoide
Heilsarmee - Heuschreckenschwärmen gleich - jegliches
individuelle Mensch-Sein
zernichtet.
"Ja,
jetzt wirklich allein. Da ist ja jemand, aber wir sind allein
mit uns.
Entsetzlich. Wir sind wir. Dabei sind doch wir nicht einmal ich.
Aber
dafür endlich daheim. Wir bewerben uns und schreiben uns auf
einen Zettel.
Wir schreiben auf, wo wir wohnen. Irgendwo. Egal." 1)
In
der Montage von Ernst M. Binder trifft der jugendliche
Globalisierungsgegner
auf den Alten Mann. Der Ort der Begegnung ist Irgendwo, die Zeit
hat keine
Zukunft mehr, die Handlung ist beliebig. Life-Style pur: da gilt
es nun,
das Haus aus Büchern wieder aufzubaun.
Die
Bühne ist in 3 Ebenen unterteilt. Unten könnte der Keller sein,
in den EGAL, WER immer wieder steigt, um nach den Leichen zu
graben. Im
Wohnzimmer lebte es sich gemütlich mit Laptop, MP3 und positiver
Energie. Und gäbe es da nicht die Zimmerdecke, könnten die
bunten
Luftballons gar in den Himmel entschweben. Die Bücher werden auf
das Dach gebracht, um frische Luft zu atmen und die Gedanken dem
Leben
auszusetzen. Noch ist das Haus nur Baugerüst. Der ALTE MANN
lauscht
den Lamentos der Dichter. Der Mond ist eine Küchenlampe, und der
Tod ist kein Meister aus Deutschland mehr, sondern die
Flüchtigkeit
des Daseins, in dem nur mehr WIR als Mensch und SONST NICHTS
wahrgenommen
werden wird.
"Und
wenn doch, wider jede Vernunft, etwas, das gar nicht angekommen
ist, doch
ein wenig bleiben möchte, dann ist dafür das, was bleibt, das
Flüchtigste,
die Sprache, verschwunden. Sie hat auf ein neues Stellenangebot
geantwortet.
Was bleiben soll, ist immer fort. Es ist jedenfalls nicht da.
Was bleibt
einem also übrig." 2)
1)
Elfriede Jelinek - Und dann nach Hause
2)
Elfriede Jelinek - Nobelpreisrede
KURZE NOTIZ ZUM ZUSTAND DER GEISTIGEN VERWAHRLOSUNG DER
GESELLSCHAFT EUROPAS IM ANGEHENDEN ZWEITEN JAHRTAUSEND
Viel mehr als in Österreich wird in Deutschland -
dem ehemaligen Land des sogenannten Wirtschaftswunders - klar, wohin
der Globalisierungswahnsinn führt. Von den wirtschaftlichen Auswirkungen
auf die Umwelt will ich hier gar nicht sprechen. Dass Produkte vom
Erzeuger - zum Beispiel die Milch von der Kuh - Tausende von Kilometern
durch Europa gekarrt werden, bevor sie in den Regalen der Supermärkte
landen, ist nur eines von vielen Beispielen, das zeigt, wie
verantwortungslos und verschwenderisch die Wirtschaft mit den
natürlichen und begrenzten Ressourcen unserer Blauen Terra verfährt. Was
zählt, ist die schnelle Mark. Damit man die Produktion und den
Verbrauch im gewünschten Maß beschleunigen kann, muss es bergab gehen.
Und so erleben wir im Moment eine wirtschaftliche Talfahrt
sondergleichen, die hierzulande besonders sichtbar wird, weil vor 15
Jahren die Welt noch in Ordnung schien und der Deutsche als
verlässlicher, pflichtbewusster Weltenbürger galt. Mit dem Zusammenbruch
des Kommunismus und der Vereinigung von Ost und West allerdings machte
sich eine Form des Goldgräbertums breit, die dem System der globalen
Weltwirtschaft immanent ist. Aus "Deutschland Über Alles " wurde
"Wirtschaft Über Alles".
Was dieses System, das auch einen Verfall der
moralischen Werte mit sich bringt, an sozialem Sprengstoff in sich
birgt, ist an einer immer größer werdenden Gruppe von Menschen
festzumachen, die kaum noch teilhaben am gesellschaftlichen Leben. Eine
sogenannte "Neue Unterschicht" bildet sich. Es handelt sich dabei um die
Menschen, die sich in einem Sozialhilfeleben eingerichtet haben, oft
schon in der zweiten oder dritten Generation, beschreibt das Magazin DER
SPIEGEL dieses Phänomen. Diese Menschen haben wenig Geld, aber Geld
genug, um nicht Not zu leiden. Es reicht für Essen, Hygiene und häufig
für eine gute Ausstattung mit Unterhaltungselektronik. Der große
Fernseher beherrscht das Wohnzimmer. Er ist fast immer eingeschaltet.
Das Elend dieser Menschen ist nicht so sehr
materielle Armut, sondern seelische und geistige Verwahrlosung. Sie
sehen Talk-Shows am Nachmittag, Soaps am Vorabend und Krimis bis in die
Nacht. Die Hauptwirkung von alldem ist Betäubung. Sprache, Emotionen und
Nachdenken reduzieren sich auf das Niveau, das ausreicht, um das
Fernsehleben mitzuerleben. Darüber geht die Teilnahme am
gesellschaftlichen Leben verloren. Da die Kinder von Geburt an das
Fernsehleben mitleben, haben sie keine Chance, das Milieu zu verlassen.
Elend wird erblich und endlos, schreibt DER SPIEGEL.
Es ist natürlich diese Gruppe von Menschen, bei
denen diese geistige Verwahrlosung besonders stark wahrgenommen und
registriert wird. Allerdings sollten wir uns nicht darüber hinweg
täuschen lassen, dass der Zustand der geistigen Verwahrlosung in einem
viel breiteren Spektrum unserer Gesellschaft schleichend Einzug gehalten
hat. Da ist der Österreicher dann der Meinung, als Abonnent einer
Tageszeitung zu den Gebildeten im Lande zu gehören. Und gehört es auch.
Dass selbst anspruchsvollere Blätter ständig an Niveau verlieren, um
ihre Leser nicht zu überfordern, gibt Aufschluss über die
Aufnahmefähigkeit des durchschnittlichen Österreichers. Man gewinnt
immer stärker den Eindruck, dass man dem Leser keine detaillierte und
differenzierte Information mehr zumuten kann. Eine 30-zeilige pointierte
Kolumne ersetzt halt keinen gut recherchierten Artikel, sondern setzt
eine Grundkenntnis voraus, die dem Österreicher über den Erwerb von
Tageszeitungen nicht mehr vermittelt wird.
Dass das geistige Elend dabei ist, die
sogenannten besseren Kreise flächendeckend zu überziehen, macht Angst
und lässt Befürchtungen aufkommen, dass unsere Kindeskinder einst die
Frage stellen werden, die wir uns heute stellen: Wie konnte es
passieren, dass fast die gesamte intellektuelle und gebildete Schicht
einer Generation jemandem wie Hitler und seinen primitiven Thesen
zujubeln konnte?
Dass man die Primitivität dereinst nicht an einer
Person festmachen wird können, dafür spricht vieles. Umso verheerender
und unmenschlicher werden die Auswirkungen sein. Mit der Börse im Nacken
und dem Ende der Energieressourcen wird die Frage nach dem Überleben
gestellt werden. Und wie vor 60 Jahren wird die Antwort von einem
moralisch und geistig verwahrlosten Mob gegeben werden.
Ernst Binder, April 2005
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