schwab
Werner
Schwab
ÜBERGEWICHT,
unwichtig: UNFORM
Ein europäisches
Abendmahl
>Mit: Margot
Binder, Nadja Brachvogel, Anita Gramser, Werner Halbedl, Ingrid Höller,
Martin Horn, Monica Reyes, C. C. Weinberger, Rudi Widerhofer
>Regie: Ernst M.
Binder, >Dramaturgie: Alexandra Rollett,
>Musik: Rainer Binder-Krieglstein, >Bühne: Carlos
Schiffmann,
>Kostüme: Katharina Scheicher,
>Licht: Geari Schreilechner, >Regieassistenz: Maik
Priebe, >Technische Leitung: Geari Schreilechner, >Produktionsleitung:
Andrea Speetgens
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Koproduktion dramagraz, Regionale 08 und
steirische Kulturinitiative, in Zusammenarbeit mit stadtmuseum
Graz
Aufführungsrechte: Fischer Verlag,
Frankfurt a. M.
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Premiere: 24. Juli 2008, Volkshaus Feldbach
Weitere Gastspiele in der Region Feldbach bis 8. August
Grazer Premiere: 14. August 2008, Stadtmuseum, Graz
Weitere Vorstellungen in Graz: bis 30. August 2008
im Anschluss Gastspiele in der ganzen Steiermark bis 9. September
2008
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zum Probentagebuch: Texte, Gedanken und
Impressionen zur Produktion von Ernst M. Binder
(more...)
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Schwabs Volksstück führt in die
Stammtischgemütlichkeit eines Dorfwirtshauses, wo sich brutal und
sprachwütig die Wahrheit über das Sozialwesen Mensch enthüllt. Nach und
nach landet alles, was der mitteleuropäischen Political Correctness
heilig ist, bei den Schlachtabfällen: Intimsphäre, Integrität der
Persönlichkeit, Respekt, Nächstenliebe, Toleranz und Intellektualität.
dramagraz wird das Stück an den Orten seiner
Entstehung zeigen: in den Gasthöfen und Gemeindesälen der Region
Feldbach, in der Werner Schwab in den 80er Jahren eine kleine
Landwirtschaft besaß und dessen Menschen und Schauplätze ihn zu seinen
Dramen inspirierten.
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EUROPA IST DAS ANDERE
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Der Versuch einer Dekonstruktion des
abendländischen Bewusstseins mit Hilfe des Dichters und
Individualanarchisten Werner Schwab am Beispiel seines Fäkaliendramas
ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM
Grenzen teilen die Wirklichkeit in Sphären des
Gleichen und des Anderen, sie ordnen und strukturieren die Welt, in dem
sie das Zugehörige vom Nicht- Zugehörigen entlang einer angenommenen
Unterschiedlichkeit von Kulturen, Sprachen, Lebenswelten, Lebensstilen
oder Identitäten trennen. Sie versiegeln die Felder sowohl des Eigenen
als auch des Fremden, was häufig martialische und leidvolle
Auseinandersetzungen nach sich zieht. Denn es sind die durch Grenzen
erzeugten Differenzen, die die Begegnung mit dem Anderen so reizvoll,
aber auch so schwierig gestalten, da eine Annäherung das Eigene in
Zweifel zieht und angreifbar macht.
Theater ist seit seinen Ursprüngen in der
griechischen Antike jener Ort, an dem gesellschaftlich relevante Fragen -
vor allem jene nach Allgemeingültigkeit und moralischer Legitimation
von sozial konstruierten Regeln und Abgrenzungen gegenüber dem
„Nichtgesellschaftsfähigen“ - zur Diskussion gestellt werden. Das
spielerische Überschreiten von Grenzen, das „So-tun-als-ob“, das die
Gültigkeit der Norm für die Dauer einer Aufführung außer Kraft setzt,
erlaubt das Betreten anderer Denk- und Handlungsräume. Nicht umsonst ist
der Außenseiter von der ungeliebten Nebenrolle in der Moderne zur
Identifikationsfigur avanciert. Mit ihm folgen wir der Handlung, durch
seine Augen sehen wir die Welt, mit ihm erleben wir die andere Option
unseres Hier und Jetzt. Wären wir nicht alle gern einer von jenen
Auserwählten, die den „anderen“, besseren Blick praktizieren, sich nicht
dem Joch der Mehrheit beugen, sondern ihrer Individualität gerecht
werden?
RANDEXISTENZ ALS DASEINSFORM UND
ÜBERLEBENSSTATEGIE
Der Begriff Außenseiter ist unmittelbar mit dem
steirischen Schriftsteller Werner Schwab verbunden. Seine Vorliebe für
das allgegenwärtige, nichts desto trotz gebrandmarkte Außergewöhnliche,
das gesellschaftlich Nicht-Integrierbare mag in der eigenen Biografie
begründet liegen: Obgleich man Schwab als Shooting Star der Theaterszene
feierte und er als Enfant terrible der Grazer und Wiener Kunstszene
gern gesehener Gast der High Society war, blieb er Zeit seines kurzen
Lebens ein Außenseiter, der weder in der Stadt noch in seiner
Wahlheimat, dem Bauernhof in Kohlberg im steirischen Bezirk Feldbach,
richtig Fuß fasste.
Doch Schwab umgab die Underdogs in seinem
literarischen Schaffen nie mit der oben beschriebenen heroischen Aura.
Er sah das Außenseitertum im individuell Abartigen, von
gesellschaftlicher Repression Unterdrückten, im Triebgesteuerten und
erkannte es als ureigen Menschliches.
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Seine Figuren, vor allem jene der frühen Dramen, sind
allesamt Randexistenzen. Die ganze Personnage wird aus den Outcasts der
Gesellschaft akquiriert. Bei diesen Gescheiterten, Gestrandeten handelt
es sich im Schwab’schen Bühnenkosmos jedoch nicht nur um eine Handvoll,
sondern um ein ganzes Volk voll. Da eine Gemeinschaft, auch oder gerade
eine aus „Abschaum“ bestehende, nur über Ab- und Ausgrenzung
funktioniert, vollzieht sich in jedem Stück die Stigmatisierung jenes
Individuums, das nicht in den willkürlich generierten Raster einer -
unter diesen Rahmenbedingungen äußerst grotesk und lächerlich wirkenden -
Normalität passt. Sei es, dass es wie er selbst urbane Verhaltensformen
nicht in die rurale Umgebung integrieren kann, dass es seine sexuellen
Perversionen nicht in den Griff bekommt, dass es sich mit gewissen
Eigenschaften (Schönheit, Hässlichkeit, Gutmütigkeit, Intelligenz,
Stumpfsinn etc.) von den anderen abhebt. Es kann jederzeit jeden
treffen.
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DAS WIRTSHAUS ALS ZENTRALER ORT DER SCHWABSCHEN
LITURGIE
Besonders augenscheinlich wird dieses Verhalten in
ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM, dem zweiten „Fäkaliendrama“
des Dichters, der am 4. Februar 2008 seinen 50. Geburtstag gefeiert
hätte. Es ist ein Wirtshausdrama, gespeist aus fast 10 Jahren
Dorfwirtshauserfahrung, die Schwab hinter sich hatte. 1981 Jahren zog er
sich mit seiner Frau Ingeborg Orthofer und seinem Sohn Vinzenz auf
einen kleinen Bauernhof bei Kohlberg im Bezirk Feldbach zurück: ins „Tal
des Todes“, zum „Elephantenfriedhof“, wie er die Gegend nannte. In der
Stadt hatte Schwab sich zugedröhnt mit Philosophie, Gesellschaftstheorie
und Sprachkritik sowie etlichen Drogen, die in der Grazer und Wiener
Kulturschickeria für Laune sorgten. Nun bestellte er zwei Äcker,
versorgte Hühner, Schafe und Hasen, spielte Karten und trank im Gasthaus
Jauk. Die Bauern in der Gastwirtschaft stellten für lange Zeit Schwabs
einzige Sozialkontakte dar.
Seine Versuche, der Öffentlichkeit gegenüber seine
Zeit auf dem Land zu mythisieren, waren viel weniger Attitüde und
Selbststilisierung, als man dem Popstar und poèt maudit im Nachhinein
gern unterstellte. Aufgewachsen als Hausmeisterkind in einer feuchten,
schimmeligen Kellerwohnung, verbrachte Schwab die Ferien stets bei
Verwandten auf dem Bauernhof im wenige Kilometer von Kohlberg entfernten
Jagersberg, woher auch seine Mutter stammte. Trotz der Vernachlässigung
und mitunter Lieblosigkeit, mit dem die hart arbeitenden Onkeln und
Tanten den Kindern begegneten („ein / bemerkenswerter Zustand / in /
ruhe/ gelassen / zu / werden / aus lauter gedankenlosigkeit“ aus: Werner
Schwab: brack komma ein) war die oststeirische Landschaft immer ein Ort
der Sehnsucht, ein Synonym für kindliche Unbeschwertheit gewesen. Auf
der anderen Seite erlebte er dort, fern ab von intellektuell verbrämter
Blasiertheit, den Menschen als ein den Naturgewalten ausgeliefertes, von
Instinkten und Trieben beherrschtes Wesen. Das Feldbacher Umland war
für Ihn „ein Platz, eine Welt, in der man ohnehin nicht anders sprach
und dachte als a rose is a rose is a rose. Aufzüchten, anbauen,
aufessen, ausscheiden: das ganze Leben, damit beschäftigt, sich am
Leben zu erhalten. Ein Auf-der-Stelle-treten, ein Im-Kreis-laufen, ein
Anstehen aller in der Nahrungskette. Als würden die Würmer die Menschen
aufzüchten, damit sie sie aufessen können.“ ( aus: Helmut Schödel: Seele
brennt. Der Dichter Werner Schwab). Es war kein Zufall, dass Schwab
seine ersten Stücke, die während bzw. kurz nach dieser Zeit entstanden
unter dem Titel „Fäkaliendramen“ zusammenfasste. Die „Fäkalsprache“, die
hypertrophe Körperlichkeit seiner Stücke, in denen es von Körpersäften
nur so spritzt, die Faszination für das Verwesende, Unzulängliche findet
sich in allen Werken des Dichters.
DER MORD ALS KEIMZELLE UNSERER KULTUR
Auffällig ist jedoch, dass Schwabs Figuren, wenn
sie den Weg alles Vergänglichen gehen, selten einen natürlichen Tod
finden. Mord ist ein zentrales dramaturgisches Element in beinahe jedem
Schwabdrama. „Wir sind Mörderkulturn“, sagt Peter Turrini und Herbert
Achternbusch ergänzt für den deutschen Markt: „Wir sind ein
Massenmörderland bis auf den Grund der Seen.“ Auch in ÜBERGEWICHT,
unwichtig: UNFORM wird diese Tradition hochgehalten: „Dieses zweite
Fäkaliendrama ist ein Stück über eine Art und Weise zu erben, der
Nachweis einer Zugehörigkeit zu einem starken Stamm. Natural born
killers, made in Österreich.“ ( aus: Helmut Schödel: Seele brennt.
Der Dichter Werner Schwab). Allerdings findet das Verbrechen am Anderen
als kulturelle Praxis europaweit Verbreitung, wie die Figur der Wirtin
ausführt: „Europa ist voller Geschichten. (…) Die Geschichten liegen
übereinander wie Gewandfetzen, und jede Geschichte handelt von den
Verbrechen der Verbrecher, und wie man mit einem neuen Verbrechen ein
altes überholen könnte. Ich mache gerne diese
Gemeinschaftsgeschichtsausflüge nach Europa. Als Wirtin kennt man ja die
Eigenlandverbrechen in- und auswendig, da ist ein europäisches
Verbrechen eine schöne Abwechslung. Ich fahre aber immer gern heim in
die einheimischen Verbrechen, die sind so schön üppig.“ (aus Werner
Schwab: ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM)
Das Opfer der Verbrechen ist immer das Andere, das
Nicht-Zugehörige, das je nach Lust, Laune und Bedarf willkürlich
festgesetzt wird. In ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM kommt jeder an die
Reihe: Schweindi wegen seiner pädophilen Neigungen, seine Frau Hasi
aufgrund ihrer Korpulenz, Herta, der ihre „einstige Schönheit“ noch
immer als Makel anhaftet, Fotzi, die in ihrer Unschuld keine Scham kennt
und deshalb von den anderen schamlos ausgenutzt wird, der
Dorfintellektuelle Jürgen, der mit seiner humanistisch verzierten
Auffassung von Toleranz ( „Man muss eine freiheitliche Seelenlandschaft
in seinem Innenraum hineinaquarellieren. Die Menschenwürde in einem
Menschen muss man einfach anerkennen wie die tägliche Wetterlage, dann
kann man nicht verstoßen gegen sie. Einer Wetterlage gegenüber würde man
sich ja auch nicht insultierend verhalten.“) nur auf Unverständnis
stößt.
In wechselnden Allianzen fallen sie übereinander
her, erniedrigen, beleidigen, verletzen das jeweilige Gegenüber und wenn
gar nichts mehr hinhaut, hauen sie hin. Nach und nach landet so alles,
was der mitteleuropäischen political correctness heilig ist, bei den
Schlachtabfällen: Intimsphäre, Integrität der Persönlichkeit, Respekt,
Nächstenliebe, Toleranz und Intellektualität. Die Brutalitäten, die die
deutsche Sprache schon bildhaft vorgibt, werden am Fleischlichen
durchexerziert: Man stößt einander vor den Kopf, kratzt dem anderen die
Augen aus, kehrt sein Inneres nach außen, so dass es vom Fußboden
gewischt werden muss. Mit fataler Konsequenz: Da man sich an der
Schönheit zweier Wirtshausgäste nicht satt sehen kann, werden sie mit
Haut und Haaren verspeist. Die finale Aneignung des Fremden mit seinen
exotischen Reizen, des unbekannten „Reinen, Schönen“, das man so gerne
in sich selbst spüren möchte, ist die Einverleibung. Doch auch dieses
orgiastische Abendmahl verschafft der Meute keine Befriedigung. Man geht
vom Kannibalismus zur Selbstzerfleischung über – allerdings bleibt man
dabei auf der metaphorischen Ebene.
Die bildgewaltige Kunstsprache des Stückes, das
„Schwabsche“, täuscht nicht darüber hinweg, dass es sich bei
ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM um eine Volksstück handelt. Denn was da
auf der Bühne verhandelt wird, ist aus dem Leben des Volkes, aus unserer
aktuellen Realität gegriffen: das Scheitern des individuellen Lebens,
die Diskrepanz zwischen der Theorie bürgerlicher Ideale und dem
praktischen Alltag der Mittelschicht, die Konfrontation mit dem Ideal
des Europäischen, das in seiner abstrakten Begrifflichkeit auf immer
unerreichbar scheint. Wenn die dichterische Wucht Werner Schwabs
Ansichten, Wörter und Körperteile über die Bühne fetzt und
schlussendlich den Figuren die Haut vom Leibe reißt, erkennt man: So
skurril und überzeichnet diese unsympathischen Außenseiter auch auf uns
wirken - ihr bloßes Fleisch sieht genauso aus wie das unsrige .
Alexandra Rollett
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