Uraufführung
Graz, 16. Jänner 2006, Dom im Berg
weitere Vorstellungen:
17., 18., 19., 20., 21., 24. Jänner 2006
>ich Anita
Gramser, D
>egal
wer Ulrich Hoppe, D
>pivot
Rudi Widerhofer, A
>john
Horst Heiss, A
>weiß
auch nicht Ernst M. Binder, A
>das mädchen / Mutter
Claudia Paulin, A
>chor der stimmen
Josef Klammer, A
>voice
iokaste Isabell Schröder, D
>inszenierung
Ernst M. Binder, A
>bühne
Carlos Schiffmann, USA
>kostüme
Andrea Plabutsch, A
>licht
Geari Schreilechner, A
>dramaturgie
Alexandra Rollett, A
>assistenz
Claudia Paulin, A
|
|
THE VOICE OF THE MOTHER ist die Geschichte von fünf
Figuren, die selbst keine Geschichte haben, denen eine Vergangenheit,
die dem endlosen Augenblick ihres Daseins vorangeht, versagt bleibt.
Weder fähig, die Gegenwart zu einem Abschluss zu bringen und zur
Historie umzuschreiben, noch das Nächste zu erhoffen und so als Zukunft
wahrnehmbar zu machen, bleiben sie - gefangen im Hier und Jetzt - dazu
gezwungen, sich fortwährend aufs Neue zu erfinden, den Riss in der
Landschaft - den "Mutter Mund", aus dem sie "fort
gesprochen" wurden - offen zu halten, um wenn schon nicht ein Ziel,
so zumindest einen Ursprung zu haben.
"Wir
sind vorläufige Möglichkeiten, die aufeinander zufahren, um einander
als konkretes ,Ich' und ,Du' zu erfahren." , beschreibt Vilém Flusser
die Definition einer eigenen Identität auf dem Weg der Kommunikation.
Wir blicken in das Auge des Gegenübers, um in diesem uns selbst
widergespiegelt zu finden, wir werfen uns in die Welt, um von dieser
wieder auf uns selbst zurückgeworfen zu werden. So sind auch die
Personen in THE VOICE OF THE MOTHER verzweifelt auf der Suche nach
Austausch, nach Kontakt und zwar in seiner reinsten und intensivsten
Form: der Liebe. Geständnisse platonischer Entrücktheit, geiler dirty
talk männlicher Getriebenheit, Minnelyrik, Aufreißfloskeln bilden die
sprachliche Folie, auf der man versucht, einander näher zu kommen, in
die man seine Einsamkeit einwickeln möchte, um endlich über das Spüren
des Anderen sich selbst begrenzen und "allein sein" zu können.
Doch
wie der Golem, der zwar in einem Wortschwall erschaffen, selbst aber
sprachlos ist, sind auch EGAL WER, ICH, JOHN, PIVOT und WEISS AUCH NICHT
Spiegelungen ihres Schöpfungsprozesses: Aus dem Muttermund in einen
bedeutungslosen Kontext gepresst besitzen sie keine eigene Sprache, ihre
Worte sind nur Echos jenes "einzigen, die Galaxien durchdringenden
lautlosen Schreis", den das Dasein ausstößt: "Es ist, als ob
die fremde Stimme uns bestätigt, was wir durch das sind, das uns
gesprochen." Die Konstituierung eines beständigen, unveränderlichen
Selbst kann nicht gelingen, es bleibt episodenhaft, fluktuierend; es
sind amorphe Geschöpfe, die da auf der Bühne einander gegenüber stehen;
die ihr Ende herbeifürchten, ohne je einen Anfang gehabt zu haben.
Die
Erkenntnis, wie die Landschaft, die erst im Auge des Betrachters
entsteht, selbst nur Widerhall und Reflexion, nur Begriff und
Bezeichnung zu sein, führt zur absoluten Verweigerung, wie sie die Figur
ICH - beinahe als eine postfeministische Reinkarnation Antigones zu
lesen - in letzter Konsequenz praktiziert: "Ich werde das Messer
nehmen. Ich werde mich und mein Bedürfnis voneinander trennen. Blut
gegen Blut. Ich werde beginnen zu beenden."
Einzig
und allein diese Haltung führt zu einer "ICH-Werdung", da sie im
ureigensten Sinn des Wortes "moralisch" ist, die Qual der Wahl bzw.
Hannah Arendts "Tyrannei der Möglichkeiten" akzeptiert und
selbstverantwortlich Schritte setzt: "Es eilt ein Schritt voraus,
die vorhergegangenen Schritte wollen mitgenommen werden. So wird der Weg
beschwerlicher, doch werden Schritt um Schritte zum Bild für Zeit und
Raum, (.)."
|