Morton Feldman : For Bunita Marcus | |
Ein Zwiegespräch Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Sarita Brandt
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mit Ninja Reichert und Maria Flavia Cerrato am Klavier | |
Szenische Einrichtung: Ernst Marianne Binder
Ausstattung: Vibeke Andersen
Licht/Sound: Geari Schreilechner
Afficheur: Christoph Trummer
Regieassistenz: Alina Samonig
Produktion: Andrea Speetgens
Technische Leitung: Geari Schreilechner
Abendspielleitung: Alina Samonig
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Premiere in Wien: 17. Dezember 2014, 20:00, echoraum Wien | |
Sechshauser Straße 66, 1150 Wien | |
Weitere Vorstellungen: 19., 20. Dezember 2014
7., 8., 9., 10. Jänner 2014, jeweils 20:00
Karten:
tel: +43.1.812 02 09-30
e-mail: echo@echoraum.at
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Premiere in Graz: 20. März 2015, 20:00, Studiobühne, OPER GRAZ | |
Girardigasse 1c, 8010 Graz | |
Weitere Vorstellungen: 24., 25., 26. März 2015, jeweils 20:00
Kartenbestellungen unter:
+43.316.8000 oder: tickets@ticketzentrum.at
Eine Koproduktion von dramagraz und echoraum Wien
in Kooperation mit der Oper Graz
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© Rechte für "For Bunita Marcus" von Morton Feldman bei Universal Edition
© Rechte für "Aqua viva" von Clarice Lispector bei Agencia Literaria Carmen Balcells S.A., Barcelona
© Rechte für die deutschsprachige Übersetzung von Sarita Brandt bei Suhrkamp Verlag, Berlin
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Über die Liebe zwischen Sprache und Musik am Beispiel der Liaison von Clarice Lispectors „Aqua viva“ und Morton Feldmans „For Bunita Marcus“. Von Ernst Marianne Binder | |
Die Idee war: Ich füge einem vorhandenen Musikstück ein Libretto hinzu. In diesem Fall handelt es sich um ein Klavierstück des US-amerikanischen Komponisten Morton Feldman und einen von mir bearbeiteten Prosatext der brasilianischen Autorin Clarice Lispector, die über die Jahre in mir quasi zueinander gefunden haben. Beide - der Komponist und die Autorin - schon tot, als ich sie entdeckt habe. | |
„Begleitet von einer so großen Freude. Das reinste Halleluja!“ So beginnt der 'Aqua viva' betitelte Text Lispectors: „Halleluja, schreie ich, ein Halleluja, das mit dem dunkelsten Jaulen des Menschen beim Schmerz der Trennung verschmilzt, doch ein Aufschreien vor teuflischem Glück ist. Denn niemand hält mich mehr zurück. Mein Denkvermögen ist noch da - schließlich hatte ich einst Mathematik, den Irrsinn folgerichtigen Denkens -, aber jetzt will ich das Plasma, direkt von der Plazenta will ich mich nähren.“ | |
„For Bunita Marcus was untypical of my music“, beschreibt Morton Feldman den Prozess des Komponierens an seinem 1985 entstandenen Klavierstück, „but I’ll tell you exactly how I wrote it, formally speaking. Not the notes; the notes didn’t write the piece. I have a talent for notes, the way some people have a talent for catching fish or for making money. I have no problems with notes. I just pull them back out of my ear – no problem at all.“ | |
Jenseits des Ohrs gibt es einen Ton, am äußersten Ende des Blickes einen Gesichtspunkt, an den Fingerspitzen einen Gegenstand - da komme ich hin. (Clarice Lispector in »Wo warst du in der Nacht«) | |
Zuerst waren also die beiden Kunstwerke, danach erst meine Idee. Gestoßen bin ich auf beide unabhängig voneinander ungefähr Mitte der Neunzigerjahre. | |
Zuerst begegnete mir der mit dem Untertitel „Ein Zwiegespräch“ versehene Prosatext 'Aqua viva' von Clarice Lispector, von dem die französische Schriftstellerin Hélène Cixous sagt: „Ich brenne darauf, dass 'Aqua viva' veröffentlicht wird; denn wäre es nötig gewesen, eine Metapher für die Weiblichkeit in der Schrift zu erfinden, dann hieße sie 'Aqua viva', etwas, das keinen Anfang hat, kein Ende, keinen einzelnen bestimmten Anfang, denn es ist aus zehntausend Anfängen zusammengesetzt; es besteht aus ästhetischem Material, das vollkommen musikalisch ist und vom Körper bestimmt.“ | |
Und dann machte ich die Bekanntschaft mit Feldmans For Bunita Marcus, in dessen von Markus Hinterhäuser interpretierter und bei Col Legno erschienenen Version ich mich verliebt habe und die ich wohl schon zwanzigmal verschenkt habe. Man braucht gar keinen Anlass, um diese Musik zu verschenken. Ein Wiedersehen, ein Gedanke, die Erinnerung an einen lieben Menschen genügt ... Und schon geht die CD in den Besitz eines anderen über und ich muss sie mir neu bestellen. Ich muss einmal nachfragen, ob der Verlag noch genügend Exemplare vorrätig hat, sonst werde ich den Bestand aufkaufen ... | |
Durch dieses Musikstück habe ich begonnen, mich intensiver mit dem Komponisten Morton Feldman auseinanderzusetzen. Er hat ja viel zu seiner Musik, zu Musik und Leben generell geschrieben, viele Vorträge gehalten und Freundschaften mit Künstlerkollegen gepflegt, die mir lange vor ihm begegnet sind und von denen ein paar zu den Menschen gehören, denen ich einen großen Teil der intensivsten Stunden meines Lebens verdanke. Dazu zählen unter anderem der von mir sehr verehrte Samuel Beckett, John Cage oder die bildenden Künstler Jackson Pollock, Mark Rothko und Robert Rauschenberg. | |
Über die Zusammenarbeit zwischen Feldman und Beckett gibt es viele Anekdoten. Verbürgt ist, dass sich die beiden 1976 in Berlin kennenlernten und Feldman ihn nach einem Text für eine Oper fragte. Feldman musste nach dem Gespräch akzeptieren, dass Beckett mit dem Medium Oper nichts anzufangen wusste, bekam aber überraschenderweise ein paar Monate später einen Text mit dem Titel 'Neither', der als Oper in einem Akt für Sopran und Orchester 1977 im Teatro dell'Opera Rom uraufgeführt würde. Verbürgt ist auch, dass Beckett nie von Feldman komponierte Musik gehört hatte, als er ihm den Text schickte. | |
Becketts Begeisterung für Feldmans Arbeit an 'Neither' bewog diesen schließlich, ihm zehn Jahre danach den Text „Words and Music“ zu schicken, den Beckett 1961 für Radio BBC als Stück mit den Hauptrollen „Word“ und „Music“, Joe und Bob genannt, geschrieben hatte. Aufgrund Becketts Missfallen wurde das Werk nach der Uraufführung zurückgezogen. Fast 20 Jahre später empfahl Beckett, Morton Feldman solle die Musik dazu schreiben, was 1987 (dem Todesjahr Feldmans) in der ersten vollständigen Aufführung resultierte, die für das American Beckett Hörspielfestival produziert wurde. Feldman kommentierte diesen Auftrag in der ihm typischen Art und Weise: „Es war ein riesiger Spaß, etwas für Beckett zu machen, sozusagen ihm zu Ehren, der seit den 1950er Jahren Teil meines Lebens war … es war gewissermaßen ein Liebesdienst, den ich ihm voller Freude leistete.“ | |
“Now that things are so simple, there's so much to do.” (Morton Feldman) | |
„Am Anfang habe ich Nichts, am Ende habe ich Alles.“ Demzufolge sind die stillen Töne, mit denen 'For Bunita Marcus' (für die eng mit Feldman befreundete Komponistin und Pianistin gleichen Namens geschrieben) beginnt und endet, Alles und Nichts. Doch meint Morton Feldman mit diesem Ausspruch aus seiner legendären »Middleburg Lecture«, die er zwei Jahre vor seinem Tod vor Musikstudenten abhielt, etwas anderes. Tatsächlich trifft der amerikanisch-jüdische Komponist mit diesen wenigen Worten den Kern des Geheimnisses seines Spätwerks. | |
Ab 1984 reduzierte Feldman nämlich die Materialdichte auf wenige und kleinste Keime, die auf lange Zeiträume ausgedehnt werden. „Wenn ich etwas benutze, das ein Motiv ist, dann variiere ich nicht das Motiv in seiner Kontinuität. Ich präsentiere es einfach anders, andersartiges Licht, ich variiere gar nichts.“ Kleinste Keime sind das Nichts des Anfangs. „Wissen Sie, wann ich mich wirklich verlaufe?“, fragte er die etwas verdutzten Studenten. „Wenn ich nicht mit Nichts anfange.“ | |
Und 'Aqua viva'? „'Aqua viva' ist ein Tagebuch oder ein langer Brief an einen Unbekannten, halb poetologisches Manifest, halb Seelenbeichte“, schreibt Iris Radisch Mitte der Neunzigerjahre in der ZEIT. „Unvorstellbar, heute so zu schreiben, so ekstatisch, im höchsten, im permanenten Ausnahmezustand, unter ständigem Gezirpe und Gerassel der allerergreifendsten und allergrößten Worte.“ | |
„Ich schreibe“, schreibt Lispector, „weil ich aus tiefster Seele sprechen möchte“, und deshalb schreibt sie, wie die tiefste Seele angeblich spricht: „krumm ... unfertig ... taumelnd ... fatalistisch ... akrobatisch ... luftig“ - weiblich. | |
Die brasilianische Schriftstellerin Clarice Lispector (1920–1977) war eines der stärksten und vielseitigsten Talente der südamerikanischen Erzählliteratur. Zu Lebzeiten als Ikone der Moderne gerühmt und als Feministin vereinnahmt, ist sie heute nur noch ein Geheimtipp. Eine Wiederentdeckung tut dringend not. | |
Mit Lispectors öffentlichem Image und ihrer einst weitreichenden Bekanntheit kontrastierte schon immer ihre schwer fassbare Person, die in ein mysteriöses Dunkel gehüllt schien und ihr den Ruf einbrachte, eine Sphinx zu sein, ein geschlechts- und herkunftsloses Rätselwesen, halb Göttin, halb Raubtier und dergleichen mehr. Sie habe, so notierte sie nach einem Aufenthalt in Ägypten, das Geheimnis der Sphinx nicht zu ergründen vermocht, doch sei dies, umgekehrt, der Sphinx auch mit ihr nicht gelungen. | |
„Ich bin mir bewusst“, gesteht die Ich-Erzählerin in 'Aqua viva', „dass ich alles, was ich weiß, nicht auch sagen kann, ich kann es nur malen oder aussprechen in sinnblinden Silben. Und wenn ich hier für dich Wörter verwenden muss, dann müssen sie einen fast körperlichen Sinn haben . . .“ – Wörter, die in ihrer Realpräsenz „nur aus den Augenblicken JETZT bestehen“ | |
Aus diesem Sprach- und Weltverständnis entwickle Clarice Lispector ihre raue, wohl auch „naiv“ zu nennende Erzählkunst, schreibt Felix Philipp Ingold in der Neuen Züricher Zeitung 2011, und sie gewinne daraus eine Weisheit, die sich immer wieder – provokant und prophetisch, abschreckend und verführerisch – in Sätzen von vollkommener Schlichtheit dinghaft verdichte. | |
Puristen, zu denen auch ich mich zähle, werden fragen: Wozu benötigt dieser Text eine Musik? Wozu benötigt diese Musik einen Text? Beide Kunstwerke sind in ihrer Ausdruckskraft, Schlichtheit und künstlerischen Eleganz einzigartig und bestechen dadurch, dass sie es vermögen, den Leser/Hörer in ihren Bann zu ziehen. | |
Ich kann darauf keine überzeugende, wirklich logische Antwort geben, sondern nur mit einer Gegenfrage antworten: Warum soll man den beiden, in sich ganz und gar vollkommenen, Kunstwerken nicht die Gelegenheit geben, sich ineinander zu verlieben? Sich kennenzulernen, aneinander Gefallen zu finden. In diesem Fall sehe ich mich also ein bisschen als Kuppler zwischen Sprache und Musik. | |
Ich gehe über mich hinaus, indem ich auf mich verzichte, und da bin ich die Welt: ich folge der Stimme der Welt, ich selbst plötzlich einstimmig. (Clarice Lispector in »Aqua viva«) | |
„Für mich ist Sprache und Musik so etwas wie eine Metapher für Mann und Frau“, hat der Schauspieler August Zirner in einem Gespräch gesagt, „zwei Einheiten, die sich nacheinander sehnen, einander bedingen geradezu, einander wollen und nie ganz zueinander finden werden.“ Diesem Spannungsfeld sollen sich die Pianistin Maria Flavia Cerrato und die Schauspielerin Ninja Reichert aussetzen. Beide werden die Welt durch ihre eher zurückhaltende stille Präsenz bereichern, die nie aufdringlich und doch bezwingend sein wird; beide sind Priesterinnen und Musen, magisch und göttlich, Überbringerinnen von Botschaften aus dem Diesseits. | |
„Ich glaube, dass ein wichtiger Aspekt meiner Musik, meines Atems, meines Raumes, darin besteht, dass ich Stille nicht eigens denke.“ Sagte Feldman und verriet damit das wohl größte Geheimnis seines Spätwerks und zugleich den Grund, warum seine Musik bei aller Einfachheit und Reduziertheit so überreich erscheint und unmittelbar zu berühren vermag. Denn er sucht nicht nur den Klang, sondern zugleich die Harmonie. Und es überrascht nicht, dass ein Roman Lispectors mit den Worten beginnt: „... ich suche, ich suche. Ich versuche zu verstehen. Ich versuche, jemandem das zu geben, was ich erlebt habe, und ich weiß nicht wem, aber ich will nicht behalten, was ich erlebt habe. Ich weiß nicht, was ich machen soll mit dem, was ich erlebt habe, ich habe vor dieser ungeheuren Un-Ordnung Angst.“ | |
Wer allerdings nur an der nackten Wahrheit interessiert ist, dem wird der Abend nicht genügen. Denn ich halte es mit Feldman, der den Mut besitzt, zu sagen: „er hat keine Kleider an“ und mit Lispector, die ihm widerspricht: „Weder an Leib noch Seele kann man nackt sein.“ Halleluja! | |
wurde in Rom, Italien, geboren. 2004 erlangte sie ihr Diplom als Pianistin am Conservatorio di Roma Santa Cecilia. Sie erhielt weiteren Unterricht bei Massimiliano Damerini und nahm an verschiedenen Meisterkursen und Workshops teil, u.a. bei Alfons Kontarsky (2006), bei Andrew Zolinsky (Acanthes Workshops, 2011) und Nicholas Hodges (Darmstädter Ferienkurse, 2012). 2012-2014 absolvierte sie den Master-Studiengang „Performance Practice in Contemporary Music“ an der Kunstuniversität in Graz unter der Leitung von Florian Müller und Klangforum Wien, den sie mit ausgezeichnetem Erfolg abschloss. 2006 gewann sie den Spezialpreis der Jury beim Wettbewerb „VIII Concorso Internazionale di Interpretazione di Musica Contemporanea-Premio Città di Roma“. | |
Viele wertvolle Erfahrungen konnte sie sowohl in Österreich (u.a. Radiokulturhaus in Wien, Ligeti-Saal und Oper in Graz), in Italien (u.a. Università La Sapienza und Teatro Furio Camillo in Rom, Ridotto del Teatro Mancinelli in Orvieto), in Frankreich (Arsenal in Metz, Maison de Robert Schuman in Scy-Chazelles) als auch in Deutschland (Akademie für Tonkunst in Darmstadt) sammeln. Ihre Aufführungen wurden im Radioprogramm des ORF gesendet. | |
Maria Flavia Cerrato ist Mitglied des "Schallfeld Ensemble". | |
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