Der erste Abend in der neuen Heimat von dramagraz, in der
Schützgasse 16 im Griesviertel: Ernst Binder und sein Team
beschäftigen sich mit Texten von Samuel Beckett und Ernst Jandl als
zwei Seiten einer Medaille. Während Becketts "a piece of monologue",
eine Metapher für das Reservoir von Erinnerungen am Ende eines
Lebens, eine strenge, formalistische Umsetzung erfordert, sucht Ernst
Binder bei Jandls Sprechoper "aus der fremde" nach einer eher
komödiantischen Form der Darstellung. Kein leichter Stoff, ganz gewiss
nicht. Geht es doch um das Leben eines Dichters, der mit sich hadert.
Genauer gesagt um einen einzigen Tag, der sinnbildlich für ein
Dichterleben steht. Zwischen Alltäglichem, Selbstzweifel, Produktivität,
Alltagsöde, Krankheiten und Einschlafstörungen, der Beziehung mit
einer Schriftstellerfreundin und Tabletten oder der Whiskey-Flasche mit
und ohne Mineral. Letztlich ist der Text aber eine selbstironische,
spielerische Auseinandersetzung mit einem Dichterdasein. Ernst Binder
wird an diesem Abend den Zuschauer in eine Welt der Stille und des
"Ganz-bei-sich-Seins" entführen. Ein Theaterabend, der keine fremden
Geschichten erzählt, sondern dem Leben abgetrotzt wurde und ganz den
Zuschauern gewidmet ist, ihren Erfahrungen und Auseinandersetzungen.
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a piece of monologue / schauspiel
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mit Rudi Widerhofer und Josef Klammer
musik: Josef Klammer
regie und ausstattung: Ernst Marianne Binder
licht: Geari Schreilechner
assistenz: Sarah Tünkler
rechte: Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main
aufführungdauer: ca. 55 min
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aus der fremde / sprechoper
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mit Werner Halbedl, Ninja Reichert, Rudi Widerhofer und Claudia Hansl
musik: Katharina Klement
regie: Ernst Marianne Binder
kostüme: Katharina Scheicher
licht: Geari Schreilechner
assistenz: Sarah Tünkler
rechte: Rowohlt Theater Verlag, Reinbeck / Hamburg
aufführungsdauer: ca. 70 min
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musik: Katharina Klement regie: Ernst Marianne Binder kostüme: Katharina Scheicher licht: Geari Schreilechner assistenz: Sarah Tünkler
rechte: Rowohlt Theater Verlag, Reinbeck / Hamburg aufführungsdauer: ca. 70 min
produktionsleitung: Andrea Speetgens technische Leitung: Geari Schreilechner ausstattungsleitung: Katharina Scheicher
co-produktion mit echoraum, Wien |
UND DAS WORT IST FLEISCH GEWORDEN | |
"Man könnte sagen", erklärte Beckett einmal, "dass meine Kindheit
glücklich war, obwohl ich wenig Talent zum Glücklichsein hatte". Wie in
allen Texten Becketts findet auch in diesem Monolog eine
Auseinandersetzung mit dem Leben statt, hier konzentriert auf die
Verbindung von Mensch und Wort und Licht. Der Mann (Rudi Widerhofer)
ist Künstler und Lautsprecher. Er hat nichts zu erzählen. Er spricht nur
von seiner Verpflichtung, der Geschichte seines Kampfes, etwas erzählen
zu müssen. Zwanzig Jahre nach Becketts Tod erleben wir hier keine
Rückschau, sondern die kompromisslose Reduzierung eines Lebens auf
die Auseinandersetzung mit dem Wort. Das Licht fokussiert die leere
Wand, auf der einst die Bilder seiner Lieben hingen, nun tot und fort:
"Wie um ein letztes Mal zu sehen. Ein letztes Mal diese erste Nacht. Von
etwa dreissigtausend. Wo er bald sein würde. Diese Nacht sein würde."
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Ähnlich und doch anders Jandl: "aus der fremde" handelt von einem
Schriftsteller, der ein Stück schreibt und dabei Krisen durchlebt. Das
Stück zeigt den Schriftsteller in seiner Privatsphäre: Da ist von
Einschlafschwierigkeiten zu hören, vom schweren Aufstehen, von der
Einnahme von Medikamenten, der Besorgung der Einkäufe, von der
Korrespondenz, die zu erledigen ist. Die Beziehung zu einer Dichterin
verläuft nicht wunschgemäß: Zu viele Friktionen trüben das
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Beziehungsleben. Sie ist die erfolgreichere Schriftstellerin, er kämpft
gegen Staubwolken, seinem Drang zum Alkohol und gegen quälend
weiße Papierblätter, leidet an der öden Fruchtlosigkeit mancher
papierenen Tage. Das Stück, das er schreibt, sei einfach "alltagsdreck /
chronik der laufenden ereignislosigkeit". Historische Dramen wolle er
nicht schreiben, diese seien für die "großen historischen dramatiker /
diese gebe es schließlich / wenn man die großen unaufgeführten
hinzuzähle / zum saufüttern". Das Schreiben fällt einfach schwer, ist
mühsame Arbeit. "aus der fremde" konterkariert das romantische Bild
des genialen Dichters, dessen Sätze von Herz und Kopf förmlich
widerstandslos aufs Papier fließen. Gegen die Schreibhemmung nützen
die verschiedenen Verfahren der Selbstreflexion nicht, selbst das
Verlassen der gehassten Schreibhöhle fällt schwer: "das düstere
Treppenhaus / zeige ihm / dass er hier fremd sei". (Zitat Peter Landerl,
aus http://www.literaturhaus.at/)
Für "a piece of monologue" komponiert und spielt der Musiker Josef
Klammer die Musik. Wie schon bei Ernst Binders Stück
"BECKETT.SILENCE" ist das Konzept typisch für die Arbeit des
Komponisten Josef Klammer: Die Partitur (von Klammer "Latente
Partitur" bezeichnet) öffnet und schließt Lautstärkenregler, aktiviert
Filter und Tonhöhenänderungen gemäß einer präzisen Komposition. Der
Computer erzeugt nicht die Klänge sondern er öffnet lediglich Zeitfenster
- akustische Stroboskope. Das Klangmaterial liefert Klammer live auf der
Bühne. Dabei versetzt er den Resonanzkörper Bühne mit Stimmgabeln
und anderen Gegenständen in Schwingung.
Die Augen und die Sinne öffnen für das Mysterium des Daseins ist das
programmatische Vorhaben nicht nur dieser beiden Aufführungen in dem
neuen Theaterraum von dramagraz.
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