IN DER EINSAMKEIT DER BAUMWOLLFELDER | |
DER DEALER: Daniel Doujenis
DER KUNDE: Werner Halbedl
Inszenierung / Raum: Ernst Marianne Binder
Musik: Andreas Thaler / Julia Wohlfahrt
Ausstattung: Vibeke Andersen
Licht / Sound: Geari Schreilechner
Ton: Andreas Thaler
Assistenz: Paula Perschke
Produktionsleitung: Andrea Speetgens
Technische Leitung: Geari Schreilechner
Abendspielleitung: Paula Perschke
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PREMIERE: 27. Februar 2012, 20:00, dramagraz
Weitere Vorstellungen:
29. Februar 2012, 20:00
1., 2., 3., 7., 9., 10., 14., 15., 17. März 2012, 20:00
Vorstellungen in Wien:
29., 30., 31. März 2012, 20:00, echoraum, Wien
Eine Koproduktion mit echoraum, Wien
Uraufführung: Dans la solitude des champs de coton,
Théâtre des Amandiers, Nanterre, 1987
Deutsche Erstaufführung: Münchner Kammerspiele, 1987
Rechte: Verlag der Autoren, Frankfurt am Main
Das Stück ist in der Theaterbibliothek im "Verlag der Autoren" erschienen.
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Eine zerrüttete Brachlandschaft im Nirgendwo, es ist Nacht. Zwei Wesen prallen aufeinander, sie umgarnen, belauern und bekriegen sich: Der Dealer und sein Kunde. Alles steht auf dem Spiel, denn es geht um Gefühle, Macht, Wissen, Begehren, Sprache und Sexualität. "Mein Wunsch, wenn es ihn gibt, würde Ihnen das Gesicht verbrennen, wenn ich ihn ausspräche", sagt der Kunde. Fernab vom grellen Licht des Konsumkapitalismus und den unübersehbaren Wirren des Finanzmarktes entfaltet sich in der Dunkelheit dieser Szene ein Gefecht, das die Möglichkeitsbedingung jeder Markthandlung darstellt: der Widerstreit zwischen dem Wunsch und der Unmöglichkeit seiner endgültigen Erfüllung. Koltès’ visionäres Stück, uraufgeführt 1987 in Nanterre, findet eine poetische und zugleich faszinierend klare Sprache für die grundlegenden Verstrickungen der Menschen mit der Logik der Ökonomie.
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Die Sucht nach Liebe und die Einsamkeit | |
Von Ernst Marianne Binder
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"Amy ging es vor allem um eins im Leben: Liebe. Ihr ganzes Leben war ihrer Familie und ihren Freunden gewidmet", sagte Mitch Winehouse. Amys Mutter Janis stand weinend an seiner Seite und machte mit ihrem Handy Aufnahmen von den Blumen. (Agenturmeldung zum Begräbnis von Amy Winehouse, 26. Juli 2011)
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Ich beschränke mich in dieser Inszenierung darauf, von der Sehnsucht nach
Liebe zu erzählen. Wie kriegt man sie? Wie entkommt man sich? Was treibt
einen hinaus in die Dunkelheit? Ja, in die Dunkelheit, denn da spielt sich
dieser Dialog zweier Suchender ab, die unterschiedlicher nicht sein könnten
und die dennoch dasselbe Bedürfnis antreibt.
Ist es nicht immer ein Deal, wenn sich zwei Menschen aufeinander einlassen?
"Wenn Sie zu dieser Stunde und an diesem Ort draußen unterwegs sind,
dann darum, weil Sie etwas wünschen, was Sie nicht haben, und dieses
Etwas kann ich Ihnen beschaffen ..." So beginnt das Stück. Und es erinnert
mich (fast) fatal an meine einsamen Nächte auf der Suche nach einem Körper,
nach Zuwendung und Liebe. Bis zur Sperrstunde an der Theke gestanden. Bis
nur noch die Kellnerin und ich übrig. Auch sie allein, jetzt, da die letzten
Betrunkenen das Lokal verlassen. Das Geld zählen, abrechnen, Ordnung
schaffen. Es ist klar, dass man über das letzte Getränk hinaus noch etwas
will. Ganz klar. Aber die Bedingungen sind nicht geklärt. "Kommst du mit?",
wäre eine klare Ansage. Aber es würde auch die Magie dieses Moments
zerstören, das Abtasten, die Möglichkeit, sich füreinander zu entscheiden
zwischen den Scherben am Boden, dem Klimpern der Münzen, dem Geruch
von Erbrochenem und abgestandenem Bier. Der Schnaps klar und unerbittlich.
Vielleicht besser nichts sagen, jetzt, und doch kein weiterer Schnaps, kein
Smalltalk, besser schweigen.
Ein letztes Getränk? Ich auf dem Barhocker, sie hinter der Theke. Die
Einsamkeit, die Nacht, der Morgen nicht mehr weit. Die Sehnsucht zeichnet
die Gesichter weich, jetzt ist es klar, das Bett ist frisch bezogen, der Atem
schwer, die Entscheidung längst gefallen. "Schlagen Sie es mir also, ich
bitte Sie, nicht ab, das Ziel Ihres Fieberns, Ihres Blicks auf mich zu sagen",
fleht der Dealer, "mir den Grund zu sagen; und wenn es sich darum handelt,
nicht Ihre Würde zu verletzen, nun gut, sagen Sie ihn, wie man ihn einem
Baum sagt oder vor der Mauer eines Gefängnisses oder in der Einsamkeit
eines Baumwollfeldes, in dem man nachts nackt umhergeht ..."
Und doch: Danach wird es nicht mehr so sein wie vorher. Das Wissen um diese
Bedingung macht Angst. Der Morgen wird grauen, noch bevor wir uns ins Bett
legen werden. Was wird danach sein? Wenn das Erwachen uns den neuen
Tag beschert, die Gesichter nicht mehr weich, sondern bleich im Sonnenlicht,
das durch das Fenster bricht. Die Körper nackt, zerbrechlich, mit wenigen
Strichen skizziert. Hat es ein "Ich liebe Dich" gegeben? Wird man sich
umarmen? Wird man sich fremd und für immer voneinander trennen?
"Ich will keinen Frieden von irgendwoher; ich will nicht, dass wir den Frieden
finden." Der Kunde. Das ist der Ausgangspunkt, das Ende, das Verhängnis
dieser Liaison von Liebe und von Einsamkeit. So unerfüllt die Sehnsucht, das
Weg-von-Sich. Nicht von ungefähr erinnert dieser Deal an Drogendeals im
Halbdunkel. Nur dass die Sucht nach Heroin ein läppisches Dingserl ist
im Vergleich zur (Sehn)Sucht nach Liebe. Letztlich reduziert sich jede Sucht
darauf, berührt werden zu wollen: von der Nadel, einem Mund, dem Tod ... Ja,
das ist es: "Versuchen Sie, mich zu treffen, es wird Ihnen nicht gelingen",
heißt es am Ende in der Einsamkeit der Baumwollfelder, "Es gibt keine Liebe,
es gibt keine Liebe. Nein, Sie werden nichts treffen können, was nicht schon
getroffen wäre, denn zuerst stirbt ein Mensch, dann sucht er seinen Tod und
trifft ihn schließlich zufällig auf dem gefährlichen Weg von einem Licht zu
einem anderen Licht, und er sagt: Das war es also schon."
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* 9. April 1948 in Metz; † 15. April 1989 in Paris | |
Acht Jahre lang schrieb und inszenierte er Stücke, ohne dass auch nur
eines davon den Weg fand in ein richtiges Theater. Dann kam DIE NACHT
KURZ VOR DEN WÄLDERN, ein langer Monolog, der beim Festival von
Avignon 1977 präsentiert wurde. Ein Schlüsselmoment für den Künstler, und
eine Offenbarung für Patrice Chéreau, der später über zehn Jahre lang "sein"
Regisseur werden sollte: "Mit Koltès habe ich eine einzigartige Erfahrung
durchlebt, eine dauerhafte Bindung an einen Autor, der so alt war wie ich,
und der mein Leben verändert hat. Er war ein Schriftsteller, ein echter
Schriftsteller, einer, der eine eigene Welt hatte – eine scharfe Klinge, an
der ich mich oft geschnitten habe."
Bernard-Marie Koltès wird 1948 im lothringischen Metz geboren. Sein Vater
ist Offizier und kaum zuhause. 1958 kommt der Junge ins Internat. Es ist die
Zeit des Algerienkrieges. Die Schule liegt mitten im Araberviertel. Koltès’
Werk wird die verstörende Atmosphäre dieser Straßen immer wieder
hervorbringen, Straßen, die vom Gesetz verlassen sind, Momente der
Ungewissheit, in denen die Situation von einem Moment zum anderen
umkippen kann, wo zwei Männer, die sich kreuzen, jeden Augenblick zu
Tieren werden können. Koltès verlässt Metz, als er zwanzig ist und bleibt
sein Leben lang ein ewiger Abenteurer. Ein einsamer Mann, immer auf der
Suche nach Begegnungen mit sich selbst und mit dem Anderen. Als er 1979
Patrice Chéreau begegnet, hat er diverse Reisen hinter sich: New York, die
UdSSR, Lateinamerika aber auch Drogen, einen Selbstmordversuch. "Mein
Milieu reicht vom Stadtpalais bis zur Immigrantenabsteige. Wurzeln gibt es
nicht. Meine Wurzeln liegen am Berührungspunkt der französischen Sprache
mit dem Blues." Alles Erlebte schlägt von nun an Wurzeln in einer Sprache.
Einer sehr rhythmischen Sprache, flüssig, dabei doch komplex. Eine Sprache,
die vom Leben nicht zu trennen ist. Ein sehr autobiographisches Theater, das
das Leben in sich selber dreht wie das Messer in der Wunde Rückkehr nach
Metz zur Zeit des Algerienkrieges in RETOUR DANS LE DÈSERT. Rückkehr
zu seiner eigenen Initiationsreise nach Nigeria in Kampf des Negers und der
Hunde 1981 bestellt die Comédie-Française bei ihm ein Stück, es entsteht
QUAI WEST. Die Geschichte von zwei Männern, zwei Fremden, die sich nie
hätten begegnen sollen.
Mit IN DER EINSAMKEIT DER BAUMWOLLFELDER, das 1987 uraufgeführt
wird, erreicht das Schreiben Bernard-Marie Koltès’ seine Vollendung in
einem Monolog für zwei, einem Dialog der Stimmen, wo nur das Wort zur
Waffe taugt. Das gesamte dramatische Werk Koltès’ kreist um diese tödliche
Begegnung mit sich selbst und mit dem Anderen. Das sich Kreuzen zweier
Unbekannter. Was wird gespielt? Ballett, zärtliche Berührung, Aggressivität,
Mord oder philosophischer Dialog? Wie bei Dostojevski, den er sehr verehrte,
ist bei Koltès alles möglich. Seine Sprache wird zu jener scharfen Klinge, an
der er sich selbst unablässig verletzt. Nach einer letzten Reise nach Mexiko
und Guatemala stirbt Koltès mit 41 an Aids. Ein Jahr darauf inszeniert Peter
Stein an der Berliner Schaubühne sein Stück ROBERTO ZUCCO. Es greift
das tragische Schicksal von Roberto Succo auf, einem mehrfachen Mörder,
der seine Eltern tötete und schließlich sich selbst. "Ein beispielhafter
Mörder", hatte Koltès über "seinen" Roberto Zucco gesagt.
Koltès wehrte sich dagegen, dass man seine Stücke als düster, verzweifelt,
schäbig beschrieb. Zwar spielt die Handlung immer an einem verlassenen,
dunklen Ort – eine düstere Straße, ein verlassener Hafenkai, ein
Autobahnzubringer – doch nur, weil diese Orte die Menschen zwingen, sich
anzuschauen und miteinander zureden. In QUAI WEST habe er, so Koltès,
sogar eine "unmittelbare Komik" angestrebt. In einer westlichen Hafenstadt
will Maurice Koch, ein reicher Mann in den Sechzig, seinem Leben ein Ende
bereiten. Er sucht sich einen verlassenen Ort, um sich dort in den Fluss zu
stürzen. Vor lauter Angst, zu leicht zu sein, steckt er sich zwei schwere
Steine in die Taschen, damit er auch ja bis auf den Grund sinkt. In seinem
Jaguar, den er noch nicht einmal alleine fahren kann, fährt er durch die Nacht.
In der Nähe eines verlassenen Schuppens, in dem Abad Zuflucht gesucht hat,
ein dreißigjähriger Ausländer mit glänzenden Augen, hält er an. "So", sagt
Maurice Koch und springt ins Wasser. Schmutziges Wasser, Muscheln füllen
ihm den Mund. Er verschwindet tief in den Fluten, doch jemand springt
hinterher und holt ihn wieder heraus. Der Tag bricht seltsam an auf dem
Blech des Schuppens. Ein Dialog entspinnt sich zwischen den beiden
Männern. Wie ein Spiel von Licht und Schatten auf der Klinge eines Messers.
"Wenn Sie zu dieser Stunde und an diesem Ort draußen unterwegs sind,
dann darum, weil Sie etwas wünschen, was Sie nicht haben, und dieses
Etwas kann ich Ihnen beschaffen [...], und es ist wie eine Last, die ich
loswerden muss an jedes Wesen, Mensch oder Tier, das an mir vorübergeht."
So beginnt In der Einsamkeit der Baumwollfelder. Auf fast leerer Bühne
wechseln wie Faustschläge die Monologe eines schwarzen Dealers und
seines weißen Kunden. Bewegungen, Gesten sind selten Die Wörter
prallen aufeinander, wechseln zwischen Angebot und Nachfrage, Verlangen
und Besitzen, Verführung und Einschüchterung. Ein erotischer, philosophischer,
politischer, künstlerischer Dialog von Schwarz und Weiß.
Den Vorwurf, schäbige, verzweifelte Stücke zu schreiben, müsste Bernard-Marie
Koltès heute nicht mehr abwehren. Er ist einer der französischen
Bühnenautoren, die im Ausland am häufigsten gespielt werden. In Frankreich
ist er beinahe im Begriff, zu einem echten Klassiker zu werden, bleibt dabei
doch der geniale Erfinder einer völlig neuartigen Mythologie. Seine ganz große
Besonderheit aber ist der Erfolg beim Lesepublikum. Bernard-Marie Koltès ist
vor allem ein viel gelesener Autor. Und seine Texte, paradoxerweise mehr noch
als ihre Inszenierungen, sind verantwortlich für die aktuelle Lebendigkeit des
französischen Theaters. Mit Koltès hat es die Schlagkraft einer unverwechselbaren
Stimme (wieder-) entdeckt. Andere, vergessene Autoren wie Beckett, Genet und
Robert Pinget erleben durch ihn eine Wiedergeburt bei jungen Regisseuren. "Er
hatte Recht, auch wenn es manchmal einfacher war, sie so zu inszenieren: seine
Stücke sind weder düster noch schäbig, sie kennen nicht die übliche Verzweiflung,
vielmehr etwas anderes, härteres, in der Ruhe grausameres", gestand Patrice
Chéreau nach Koltès Tod.
Christine Lecerf, 2007
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