mit
Ronja Jenko
Eva Kessler
Mona Kospach
Gina Mattiello
Ninja Reichert
und
Werner Halbedl
MUSIKALISCHE KONZEPTION
Ernst Marianne Binder / Jonas Kocher / Gina Mattiello
INSZENIERUNG / RAUM Ernst Marianne Binder
MUSIK Jonas Kocher
AUSSTATTUNG Vibeke Andersen
LICHT Geari Schreilechner
SPRECHTRAINING Ninja Reichert
KÖRPERTRAINING Christina Lederhaas / Mona Kospach
DRAMATURGIE Angela Bürger / Silke Felber
SOUND Geari Schreilechner / Andreas Thaler
TONAUFNAHME Gottfried Hüngsberg
REGIEASSTISTENZ Paula Perschke / Peter Spall
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EINE TRAUERNDE Libgart Schwarz
RAUM Ernst Marianne Binder
AUSSTATTUNG Vibeke Andersen
LICHT Geari Schreilechner
REGIEASSTISTENZ Maja Bacer
PRODUKTION Andrea Speetgens
TECHNISCHE LEITUNG Geari Schreilechner
PRESSE GAMUEKL-Gabi Müller-Klomfar
ÖSTERR. ERSTAUFFÜHRUNG der erweiterten Fassung:
PREMIERE GRAZ
2. September 2013, 20:00 DOM IM BERG, Graz
Weitere Vorstellungen in Graz: 3., 4., 5., 6. September 2013, jeweils 20:00
SCHWEIZER ERSTAUFFÜHRUNG
14. September 2013, 20:00 MUSIKFESTIVAL BERN
Eine weitere Vorstellung in Bern: 15. September 2013, 20:00
PREMIERE WIEN
24. September 2013, 20:00 KOSMOS THEATER
Weitere Vorstellungen in Wien: 25., 26., 27., 28. September 2013
1., 2., 3., 4., 5. Oktober 2013, jeweils 20:00
Eine Koproduktion von Drama Graz mit Theater FAIMME, KosmosTheater, Wien
und dem Musikfestival Bern in Kooperation mit der Hochschule der Künste Bern.
Komposition im Auftrag der Pro Helvetia.
UA 30. September 2011, Schauspiel Köln, R.: Karin Beier
Rechte Rowohlt Theaterverlag, Reinbek/Hamburg
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Das Wasser ist an Land gekommen, eine gewaltige Flutwelle
hat alles mit sich fortgerissen. Energie wurde geraubt: Eine
Anlage ist ausgefallen oder hat sich automatisch abgeschaltet.
Nur noch ohrenbetäubende Stille erfüllt die Luft, ein Lärm, der
die Welt lautlos unter sich begräbt, jedes Gehör taub macht,
einem kollektiven Tinnitus gleich. Etwas hat sich grundlegend
verändert – aber was? Etwas, das der Mensch erschuf, hat sich
unumkehrbar gegen ihn gewandt, und das Licht, das früher auf
ihn schien, muss er nun selbst abstrahlen, bläulich leuchtend
aus den Knochen seines Körpers ...
Ohne dass die Worte Fukushima oder Atomkraft fallen, ist
KEIN LICHT ein Geisterszenario nach dem Super-GAU, ein
Beckett-haftes Endspiel, das abrechnet mit unserem
bedingungslosen Glauben an die Beherrschbarkeit der Technik
und in dem die Schreie der totgeschwiegenen Opfer
gespenstisch widerhallen.
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geboren am 20.10.1946 in Mürzzuschlag/Steiermark. Noch während
der Schulzeit begann Elfriede Jelinek 1960 am Wiener Konservatorium
Orgel, Blockflöte und später auch Komposition zu studieren. Bei dem
Vater, Friedrich Jelinek, der vor 1945 als Chemiker in kriegsdienlicher
Forschung tätig war und aufgrund dieser Tätigkeit vor antisemitischer
Verfolgung einigermaßen geschützt blieb, stellt sich in den frühen fünfziger
Jahren eine psychische Erkrankung ein. 1964 nahm Elfriede Jelinek das
Studium der Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität
Wien auf. Nach einigen Semestern Abbruch des Studiums wegen einer zu
kritischen psychischen Verfassung. Erste Gedichte. 1968 verbrachte Elfriede
Jelinek in absoluter Isolation, sie verließ für ein Jahr das Elternhaus nicht mehr.
Der Vater starb 1969 in einer psychiatrischen Klinik. Nach 1969 engagierte
sich Elfriede Jelinek in der Studentenbewegung und in den Literaturdiskussionen
um die Zeitschrift "manuskripte". 1971 Orgelabschlußprüfung am Wiener
Konservatorium mit "sehr gutem Erfolg". Erste Hörspiele. "wenn die sonne
sinkt ist für manche schon büroschluß", wurde 1974 von der Zeitung "Die
Presse" zum erfolgreichsten Hörspiel des Jahres erklärt. 1972 Aufenthalt in
Berlin, 1973 Aufenthalt in Rom. Hörspiele.
Seit 1974 verheiratet mit Gottfried Hüngsberg, der in den sechziger Jahren dem
Kreis um Rainer Werner Faßbinder angehörte. 1974 Eintritt in die Kommunistische
Partei Österreichs. Hörspiele (u.a. "Die Bienenkönige", 1976; "Die Ausgesperrten",
1978) und Übersetzungen (Thomas Pynchon: "Die Enden der Parabel", 1976).
Das Drehbuch "Die Ausgesperrten" (nach dem gleichnamigen, 1980 erschienen
Roman) wurde 1982 verfilmt. Poetologische Essays. Weitere Übersetzungen u.a.
von Georges Feydeau: "Herrenjagd"; "Der Gockel", "Floh im Ohr" und Eugene
Labiche: "Affaire Rue de Lourcine", "Die Dame vom Maxim". Zusammenarbeit
mit der Komponistin Patricia Jünger ("Die Klavierspielerin", 1988). 1990 Filmdreh-
buch "Malina" zusammen mit Werner Schroeter, nach dem Roman von Ingeborg
Bachmann. 1991 Austritt aus der KPÖ gemeinsam mit den beiden Parteivor-
sitzenden Susanne Sohn und Walter Silbermayer. Elfriede Jelinek lebt zur Zeit
in München und Wien.
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Lyrik- und Prosapreis der österreichischen Jugendkulturwoche (1969);
Lyrikpreis der österreichischen Hochschulschülerschaft (1969);
Österreichisches Staatsstipendium für Literatur (1972); Roswitha-
Gedenkmedaille der Stadt Bad Gandersheim (1978); Drehbuchpreis
des Innenministeriums der BRD (1979); Würdigungspreis des Bundes-
ministeriums für Unterricht und Kunst (1983); Heinrich-Böll-Preis der
Stadt Köln (1986); Literaturpreis des Landes Steiermark (1987);
Würdigungspreis der Stadt Wien für Literatur (1989); Walter-Hasenclever-
Preis der Stadt Aachen (1994); Peter-Weiss-Preis der Stadt Bochum
(1994); Bremer Literaturpreis 1996, Georg Büchner-Preis (1998);
manuskripte-Preis des Landes Steiermark (2000); Theaterpreis Berlin
der Stiftung Preußische Seehandlung (2002); Mülheimer Theaterpreis
für Macht Nichts (2002); Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf
(2002); Else Lasker-Schüler-Dramatikerpreis des Pfalztheaters Kaisers-
lautern für das dramatische Gesamtwerk (2003); Lessing-Preis für Kritik
(2004); Mülheimer Dramatikerpreis für Das Werk (2004); Stig Dagerman-
Preis der Stig Dagermanngesellschaft, Schweden (2004); Hörspielpreis
der Kriegsblinden (2004); Franz-Kafka-Literaturpreis, Prag/Tschechische
Republik (2004); Nobelpreis für Literatur, Stockholm/Schweden (2004);
André-Gide-Preis (2006); Mülheimer Dramatikerpreis für Rechnitz (2007)
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*1977.
Akkordeonist und Komponist.
Studierte bei Teodoro Anzellotti, Pierre Sublet und Georges Aperghis.
Als Akkordeonist arbeitet er ausschliesslich als Improvisator und manchmal
in konzeptuellen Kontexten u. a. mit Michel Doneda, Christian Wolfarth, Olivier
Toulemonde, Alfredo Costa Monteiro, Chris Heenan, duo Diatribes, Jacques
Demierre, Christian Kesten, Gaudenz Badrutt …
Jonas Kocher setzt sich in seiner Arbeit mit den Verhältnissen zwischen Klang,
Geräusch und Stille, sowie mit dem Prozess des Hörens auseinander. Als
Komponist schreibt er Werke an der Grenze von Neues Musiktheater, Installation
und Konzertstücken. Seine Werke wurden im Theater Basel, im Zentrum Paul
Klee sowie beim Festival Encuentros Buenos Aires, Biennale Bern 2010, Umlaut
Festival Berlin, Centre Dürrenmatt Neuchâtel, Jardins Musicaux 2012, SMC
Lausanne, Festival Concentus Moravie und Biennale Zagreb aufgeführt. Regel-
mässige Tätigkeit als Hörspielmusik-Komponist, für Tanz und für das Theater.
Jonas Kocher gründete das Label Flexion Records, das Künstler produziert, die
sich mit experimentellen Sounds beschäftigen, deren Interesse sich auf die
Umgebung und das akustische Umfeld konzentrieren, in der die Musik stattfindet,
beziehungsweise gespielt wird.
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Musikkonzept zu KEIN LICHT - Eine Sprechoper | |
DER TEXT
Der Text wird von den Protagonisten als solcher vorgetragen. Es geht darum,
den Klang, der den Worten innewohnt und den sich aus der Aneinanderreihung
der Worte im Text vorgebenen Rhythmus zu erkunden. Die Verständlichkeit der
Protagonisten (ERSTE GEIGE, ZWEITE GEIGE, ELFRIEDE) steht im Vordergrund,
es wird kein künstlicher Gesang über den Text gestülpt. Im Gegensatz dazu wird
der CHOR als Klang- und rhythmisches Element eingesetzt, als Kommentar oder
parallele Klangebene. Eine weitere Schicht bildet die Wahrsagung oder Prophe-
zeiung des TEIRESIAS, dessen Stimme ständig im Raum zu schweben scheint,
ein gewissermaßen akustisches Damoklesschwert.
DIE MUSIK
Die Elektronik wird als physisches Element behandelt, d.h., gewisse Frequenzen
und Parameter werden für ihre direkte Auswirkung auf die Zuhörer ausgewählt und
als Material verwendet. Die Ortung der Klänge im Raum, sowie das Spiel mit Nähe
und Ferne werden bewusst eingesetzt. Die Elektronikspur wird kein Kommentar
zum Text sein, sondern eine eigene Dramaturgie verfolgen. Die Stille bildet den
Grundzustand und bietet so die Möglichkeit, den Raum immer wieder zu öffnen.
Die Grundidee der Klangkomposition und ihrer Funktion ist, Spannung zu schaffen,
sowie immer wieder die Aufmerksamkeit der Zuhörer fordern. Durch einen reduzierten
Einsatz sowie eine extrem differenzierte Dynamik und Physikalität des Klanges
erweitert die Musik das Hörerlebnis durch nur körperlich und unterbewusst wahrnehm-
bare Sinustöne und Soundstrukturen.
DAS MATERIAL
Die elektronischen Klänge werden aus Fieldrecordings von Erdbeben und anderen
Erdbewegungsfrequenzen produziert, sowie mittels eines Sinusgenerators und mit
dem Akkordeon. Die Klänge werden aber abstrahiert und ihr Ausgangspunkt nicht
erkennbar, bestenfalls erahnbar sein.
Jonas Kocher
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Inszenierung/Raum: Ernst Marianne Binder | |
geboren 1953 in Mostar, Ex-Jugoslawien
Seit 1971 freiberuflicher Autor, Musiker und Regisseur
1987 - 2003 künstl. Leiter forum stadtpark theater, graz
1995 – 2003 Hausregisseur Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin
Seit 2003 künstl. Leiter dramagraz
Lebt zur Zeit in Graz
1976 Stipendium für Literatur des Landes Steiermark
1993 Max-Ophüls-Preis für die Verfilmung von HOCHZEITSNACHT
in der Regie von Pol Cruchten
2003 Bühnen-Landeskunstpreis des Landes Oberösterreich
2008 Verleihung des Berufstitels Professor
2009 Dramatikerstipendium des Bundesministerium für Kunst
INSZENIERUNGEN (Auswahl)
1992 Mein Hundemund von Werner Schwab (UA, Schauspielhaus Wien, eingeladen
zum Theaterfestival AUA! WIR LEBEN, Bern)
1993 Die Kranichmaske die bei Nacht strahlt von Yoko Tawada
(UA, "steirischer herbst '93")
1994 Das Fest von Klaus Rohleder (UA, Bühnen der Stadt Gera, eingeladen zum
Theaterfestival AUA! WIR LEBEN, Bern, nominiert zum Berliner Theatertreffen 1995)
1995 Totentrompeten von Einar Schleef (UA, Mecklenburgisches Staatstheater
Schwerin, Stück des Jahres 1995 in Theater heute, eingeladen zu den
Mülheimer Theatertagen '95, den Potsdamer Theatertagen und zum
Heidelberger Stückemarkt, nominiert zum Berliner Theatertreffen 1995)
1996 Die Stunde da wir nichts voneinander wussten von Peter Handke (Slowenische
Erstaufführung, Slowenisches Nationaltheater DRAMA, Ljubljana)
1997 Drei Alte tanzen Tango von Einar Schleef (UA, Mecklenburgisches Staatstheater
Schwerin, eingeladen zu den Mülheimer Theatertagen '97)
1997 Aus nichts wird nichts von Bertolt Brecht (UA, Berliner Ensemble, Berlin)
1999 Die Bauern von Heiner Müller (Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin,
nominiert zum Berliner Theatertreffen 2000)
2002 Körper und Frau von Elfriede Jelinek
(UA, forum stadtpark theater, Graz und schauspiel frankfurt)
2003 Versuch über den geglückten Tag von Peter Handke
(UA, forum stadtpark theater, Graz)
2003 Black Jack von Franzobel (UA, Festwochen Gmunden,
eingeladen zum Theatertreffen IMPULSE 2004)
2003 Woyzeck von Georg Büchner
(Slowenisches Nationaltheater DRAMA, Ljubljana)
2005 Das Blaue vom Himmel von Ernst Marianne Binder (UA, dramagraz)
2006 Beckett.Silence von Ernst Marianne Binder, Musik Josef Klammer
(UA, dramagraz)
2007 Einklang von Herbert Achternbusch (UA, Ruhrfestspiele Recklinghausen)
2010 (Was hängt das Leben tief wie Nebel überm) Kukuruz
von Ernst Marianne Binder, Musik Katharina Klement (UA, dramagraz)
2011 Gute Reise auf Wiedersehen von Einar Schleef
(UA, Ruhrfestspiele Recklinghausen)
LITERARISCHE ARBEITEN
1973 Blumen, die nur im Gefängnis blühn (Gedichtzyklus)
1973 Flucht (Roman)
1975 Fragmente (Erzählungen)
1977 Grenzgänger (Erzählungen)
1979 Das Lächeln am Fuß des Entzugs (Gedichtzyklus)
1983 Hochzeitsnacht (Theaterstück, Uraufführung Schauspielhaus Graz)
1999 Der Schatten der Palme (Theaterstück,
Uraufführung Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin)
2005 Beckett.Silence (Theaterstück, Uraufführung dramagraz)
2010 (Was hängt das Leben tief wie Nebel überm) Kukuruz
(Theaterstück, Uraufführung dramagraz)
2011 DAS STUMME H oder Warum die Erde eine Scheibe ist und das Glück der
Papagei des Melancholikers (Texte, Sonderzahl Verlag, Wien 2011)
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Der Körper ist der Begleiter auf dem Klavier | |
"Musik ist Zeit, und die haben wir nicht mehr."
Wenn uns nichts mehr bleibt, wenn nichts mehr da ist, das uns retten könnte,
wenn wir durch das Wasser waten, das weiter und weiter steigt, beständig,
wenn kein Land in Sicht, der Himmel preußisch blau ist, zwei riesige Wolken
darin schwimmen, wie von Drahtskeletten zusammengehalten, um Heiner Müller
zu zitieren, wenn es dunkel wird und auch die Bildbeschreibungen bloß Bilder
aus einer vermeintlichen Erinnerung widerspiegeln, das Licht der fernen Galaxien
uns heimleuchtet, dann bleibt nur noch die Sprache, um uns in der Endlichkeit
unseres Daseins zurechtzufinden.
Es ist der Gesang der untoten Antigone, der uns begleitet auf der letzten Weg-
strecke, die noch zurückgelegt werden muss. Und wer, wenn nicht Elfriede Jelinek,
diese Sprach- und Sprechschamanin, könnte uns an diese Assoziationsketten
legen. In ihnen finden wir Halt, zerren uns ein letztes Mal an den Haaren aus den
Fluten, es gibt nichts mehr als die Sprache. Wir müssen uns ihr aussetzen. Diese
definiert uns bis zum letzten Atemzug.
In diesem 'Endspiel' sind es freilich Klagegesänge, schaurige Chöre, die durch
die Nacht hallen, zwei Musikerinnen, die Erste und die Zweite Geige, betreten die
Bühne, die Instrumente zerschellt an den Klippen, sie sprechen sich um Leben
und Tod: "Unsere Töne sind jetzt die große Leere." Das Orchester ist jetzt das
Universum, die Klänge sind da, wir hören sie nur nicht, das Licht ist da, wir selbst
sind es. Wir strahlen und wir klingen, wir verzweifeln und wir laufen blindlings weiter.
Aber: "Der Körper ist der Begleiter auf dem Klavier, dafür muß er schon mehr können
als einfach nur mit uns mitkommen."
Die Autorin selbst wird die Bühne betreten, als Rufende, Warnende, der blinde
Seher wird uns prophezeien, was uns widerfahren wird in diesen neunzig Minuten,
in denen alle Sicherheit außer Kraft gesetzt werden wird und wir - fünf Frauen
und Mädchen, Teiresias und Sie, die anwesenden Zuhörer und Zuschauer – nur
mehr uns selbst haben werden, verstrahlt, leuchtend, die Augen weit offen, noch
offener als der Mund im berühmten Gemälde 'Der Schrei' von Edvard Munch.
Die Tränen werden schreien: "Tränen, meine Tränen, was seid ihr gar so laut!
Was schreit ihr so?" Wir werden uns auf den Weg machen, den Sprachkaskaden
hinterher, das rettende Ufer vielleicht eine Schimäre, die auf der Annahme beruht,
es gäbe einen Ort, irgendwo, wo wir sicher sein würden, vor uns, vor Ihnen, aber
den gibt es nicht. Nein: Kein Ort. Nirgendwo.
Es wäre zu banal, die Erste und die Zweite Geige als Instrumente zum Klingen
zu bringen versuchen, wenn die letzten Saiten, die ihnen zur Verfügung stehen,
die Stimmbänder sind. So werden wir uns den Sätzen ausliefern, sie wieder und
wieder wiederkäuen, wochen-, monatelang, bis sie sich uns preisgeben, und
wir uns ihnen, den Sätzen, und Ihnen, den Zuhörern. Wir werden verzweifeln,
immer wieder scheitern. "Bei meiner Stimme hab ich immer das Gefühl, daß
mir ein Fremdkörper hineingeraten ist", lässt die Autorin denn auch die Erste
Geige sagen. Die Bedingung kann nur die Wahrhaftigkeit sein, wir werden darauf
vertrauen müssen, dass die Stimme allein uns in diesen Momenten begründen
und zu Anwesenden machen wird: "Was sagt dieser Hirt, meine Stimme, der ich
folge, als wär ich mein eigenes Weidetier?"
Vielleicht müssen wir die Augen schließen, um uns selbst zu hören. Um uns
folgen zu können. "Die Töne werden kein Gesicht mehr haben, jedenfalls keins,
das am Notenblatt gestanden ist. Sie werden keine Werte mehr haben, keinen
Platz auf den fünf Linien, ja, die, mit dem praktischerweise gleich dazugelegten
Schlüssel, und die Töne erhalten, was ihnen zusteht, geduldig wartend mit ihren
Eßschalen, für jeden zwei Erdbeeren ..." 'Mehr Licht!' Diese kolportierten letzten
Worte Goethes lassen darauf schließen, dass es eine Sehnsucht gibt, nach
der Musik in uns, nach dem Trost, der im Anzünden einer Kerze am Grab liegt,
wir wollen sehen, was wir hören. Treibt uns nicht auch diese Sehnsucht aus dem
Mutterleib?
Die einzige Chance, das Licht zu sehen, am Ende des Tunnels, den weißen
Punkt, der seinerzeit - in einem anderen Leben, gestern, schwarz noch - den
Satz beendet hat und nun das Schweigen verheißt, ist, die Augen zu schließen.
Aber es wäre nicht Elfriede Jelinek, wenn da nicht noch ein Funken Hoffnung,
ein kleiner Lichtstrahl durch einen Spalt fallen würde: "Wir helfen denen, die etwas
geben, und wir geben es selbst", heißt es am Ende im Stücktext, "Die Milch des
Morgenlichts. Das Irgendwasgetränk des Abendlichts: überall willkommen! Und wir
sind es selbst, das Licht, wir machen es und sind es! Und wir helfen den Kühen
mit der Milch und mit dem Licht, wir leuchten ihnen in den Stall, wir sind der
strahlende Riß, wir sind der Spalt in der Tür, wir haben etwas gespalten, und
jetzt leuchten wir durch diese Spalte, ja, ich erfülle ... Ich erfülle ... was?"
Ernst Marianne Binder
* Die unter Anführungszeichen gestellten Sätze sind Textzitate aus
"KEIN LICHT" von Elfriede Jelinek.
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Schauspiel/Stimmperformance: Gina Mattiello | |
Gina Mattiello, geboren in Wien. Schauspielerin und Stimmperformerin.
Seit 1999 tritt sie in experimentellen Musik-Theaterproduktionen auf.
Ihr künstlerischer Fokus liegt in der Aufführung von zeitgenössischen
Texten, sowie in der Text- und Sprachbehandlung von verschiedenen
ausnotierten und improvisierten Musikrichtungen. Uraufführungen von
Werken der KomponistInnen Elisabeth Harnik, Christoph Herndler, Peter
Jakober, Bernhard Lang, Sophie Reyer, Helmut Oehring, Hassan Taha,
Pia Palme, Jorge Sánchez-Chiong, Reinhold Schinwald, u.a.
Als Stimmperformerin/Sprecherin tritt sie in Festivals auf u.a Wien Modern,
steirischer Herbst, Feldkirch Festival, Wiener Festwochen, Klangspuren
Schwaz, sowie generator/Wiener Konzerthaus, Radio Kulturhaus,
Künstlerhaus Wien, Porgy & Bess. Zusammenarbeit mit namhaften
zeitgenössischen Ensembles: NewTonEnsemble Wien, quartett22,
Ensemble PHACE, Ensemble EIS; Auftritte als Schauspielerin u.a im
dietheater Konzerthaus, KosmosTheater, TTZ Graz, Theater am Turm,
Theater Drachengasse, Dschungel – Theater für junges Publikum,
Dampfzentrale Bern, Theater Stok Zürich, dramagraz – Theater für
Gegenwartsliteratur.
Gemeinsam mit der Komponistin Pia Palme Initiatorin und künstlerische
Leitung des seit 2007 jährlich stattfindenden e_may Festivals für neue
und elektronische Musik.
Als Schauspielerin gastierte sie beim Taschenopernfestival 2011 in
Salzburg; erste Zusammenarbeit mit dem Regisseur Ernst Marianne
Binder und dem Komponisten Reinhold Schinwald. 2011 spielte sie in
der Österr. Erstaufführung von Kathrin Röggla „wir schlafen nicht“
(dramagraz) unter der Regie von Tanja Witzmann. 2011 war sie als
Stimmperformerin beim Österr. KomponistInnenforum Mittersill vertreten.
Stimmausbildung in Belgien mit u.a. David Moss, Meredith Monk, Phil
Minton und in der Schweiz mit Franziska Baumann.
Studium: Théâtre Musical – Composition and Theory und literarisches
Schreiben an der Hochschule der Künste Bern.
2011/2012 wurde ihr ein Stipendium des bmukk und der SKE verliehen.
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Strategien für die Arbeit mit und an der Stimme | |
Jelineks Texte sind nichts für normale Theaterregisseure, sondern für
Obsessionalisten und ästhetische Quertreiber, die außertheatralische
Arbeitsprinzipien oder -kathegorien auf Jelinek anwenden und damit den
Formenkanon des Theaters erweitern.(1)
In der Sprechoper "Kein Licht" wird der Text als Sprachmusik präsentiert,
ohne Psychologismen. Der Text wird als solches hörbar gemacht und
nach musikalisch-rhythmischen Prinzipien durchdrungen.
Eine Strategie, um die sinnlich-materielle Erscheinung der Stimme auffällig
zu machen, besteht in der Bearbeitung der gesprochenen Sprache im
Sinne einer Musikalisierung der Rede. Musikalisierung kann ebenfalls
Übergänge zwischen Sprech- und Singstimme umfassen, die Bearbeitung
der Vokale und der Melodie beim Sprechen.
Musik und Sprache werden in "Kein Licht" unterschiedliche Beziehungen
miteinander eingehen: So kann die Musikalisierung einerseits gewisse
Aspekte des Textes verstärken und unterstützend hervorheben, andererseits
kann sie auch im Konflikt mit der Sprache stehen, in dem der Text
beispielsweise zersetzt wird. Die Rhythmisierung bez. Musikalisierung
kann auch die Funktion haben, den Informationsgehalt des Textes und
seine schnelle Verfügbarkeit zu stören. Einar Schleef schreibt dazu:
"Dieses Konsumieren des Textes als Information blockiere ich auf der
Bühne durch Rhythmisierung und Sprachaufteilung des Textes an mehrere
Darsteller. Dadurch entzieht er sich der allzu schnellen Verfügbarkeit"(2)
Damit wird die Aufmerksamkeit auch massiv auf die erklingenden Wörter
sowie auf die Art und Weise des Sprechens und mithin auf die klanglichen
Erscheinungen gelegt.
In "Kein Licht" wird der Text auf mehrere DarstellerInnen aufgeteilt.
Neben Stimme A (Erste Geige) und Stimme B (Zweite Geige) erklingen
die Stimme des Teiresias, ein Chor von drei Mädchenstimmen und eine
Chorführerin (Elfriede).
Durch diese verschiedenen Stimmebenen können sich mehrere Rhythmen
nebeneinander etablieren, einzelne Stimme hervortreten und sich wieder
einfügen. Es können die Besetzungen wechseln und damit Klang und
Lautstärke der Passagen (mal sprechen A und B, mal die Mädchenstimmen
und die Chorführerin, mal die männliche Stimme). Rhythmusverdichtungen,
-zerdehnungen und -überlagerungen ändern somit das Tempo des Geschehens.
So können verschieden Formen des chorischen Sprechens von homophoner
Mehrstimmigkeit zu Heterophonie ausgelotet und zu einer Sprechoper werden.
Und so bündeln sich die Stimmen von Einzelnen, die ihr jeweiliges Schicksal
zu jenem aller Beteiligten machen, ohne dass dabei ihre Besonderheit verloren
ginge(3), beschreibt Hajo Kurzenberger den kollektiven Prozess einer Chorarbeit.
Die Arbeit an der Individualität der Stimmen, ihre Eigenständigkeiten hervorzu-
heben, die Zuhörer und – seherInnen sie als Einzelschicksale wahrnehmen und
nicht zuletzt dadurch am dramatischen Verlauf ihrer Reise teilhaben zu lassen
wird denn auch den Schwerpunkt der Probenarbeit zur Sprechoper "KEIN LICHT"
bilden.
Gina Mattiello
(1) Elfriede Jelinek: "Ich will kein Theater" mediale Überschreitungen, S. 166
(2) Einar Schleef: "Ich war im Osten genauso anstrengend", Einar Schleef im Gespräch
mit Frank Raddatz in Theater der Zeit 5/6 (1994)
(3) Hajo Kurzenberger: "Chor-Körper" in "Der kollektive Prozess des Theaters".
Chorkörper, Probengemeinschaft, theatrale Kreativität, Bielefeld 2009
Quelle: Vokale Intesitäten „Zur Ästethik der Stimme im postdramatischen Theater“
von Jenny Schrödl
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