Übersetzung Tino Sekay Grazer Fassung Ernst Marianne Binder | |
FRAU Mercy Dorcas Otieno
MANN 1 T. G. Schubert
MANN 2 Werner Halbedl
STIMME AUS DER WAND Ninja Reichert
Inszenierung Ernst M. Binder
Ausstattung Vibeke Andersen
Raum Carlos Schiffmann
Musik/Bruitage Josef Klammer
Licht Geari Schreilechner
Film/Kamera Hans Kraxner
Filmschnitt Rafael Starman/Martin Reicht
Sprech- und Stimmtraining Ninja Reichert
Ton Andreas Thaler
Assistenz Paula Perschke
Produktionsleitung Andrea Speetgens (dramagraz)
Diana Brus, Werner Schrempf (La Strada)
Technische Leitung Geari Schreilechner (dramagraz)
Thomas Mayerl (La Strada)
Abendspielleitung Paula Perschke
Dank an Max Aufischer, Luise Grinschgl, Gerhard Teissl, Michael Merkusch,
Robert Pristovnik und Peter Wolf
Die Erstübersetzung des Textes aus dem Französischen stammt von Elisabeth Müller,
gefördert und ermöglicht von Dr. Peter Grabensberger (Kulturamt Graz)
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Uraufführung: 30. Juli 2012, 20:30, LA STRADA Taggerfutterwerke, Puchstraße 21, 8020 Graz | |
Weitere Aufführungen: 31. Juli, 1., 2., 3., 4. August 2012, 20:30
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© Alle Rechte beim Autor
Eine Co-Produktion von dramagraz und La Strada
in einer Kooperation mit dem Straßenkunst-Netzwerk IN SITU
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Das gelobte Land: Es heißt Deutschland, Italien, Frankreich, Österreich für viele Afrikaner, die nach Europa kommen. Eine von ihnen, eine Namenlose, ist hier, in einem Land, in dem sie sich eine bessere Zukunft erwartet, erhofft, erträumt hat, begleitet und verfolgt von den Stimmen aus ihrer Vergangenheit und von ganz realen Quälgeistern aus den Schlepper-organisationen.
Fiston Mujila Mwanza war 2010 Stadt-schreiber in Graz. Sein Stück "Gott ist ein Deutscher" handelt vom Zerplatzen großer Träume und lässt dabei den Hintergrund kolonialer Vergangenheit und die erschütternde Praxis der Migration nicht aus. Folgerichtig wird ein LKW zur Bühne dieses brisanten zeitgenössischen Stückes über ein so allgegenwärtiges wie verdrängtes Thema. Mwanza widmet sich den Wanderbewegungen nach und in Europa, deren Ereignisse und Konse-quenzen allzu oft der tagesaktuellen Berichterstattung überlassen werden.
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Nach Deutschland – frei nach Tschechows "Drei Schwestern" – könnte
man diesen Satz als ungeschriebenes Motto für Fiston Mujila Mwanzas
Stück "GOTT IST EIN DEUTSCHER - Dich aufrecht stehen sehen, gießt Öl
in mein Feuer …" nehmen. Wäre es nicht politisch belastet, könnte man auch
sagen Deutschland über alles, oder ganz einfach – das Gelobte Land. An
Stelle von Deutschland kann man auch Österreich, Frankreich oder sonst
ein gelobtes mitteleuropäisches Land einsetzen. Das Land, in dem sich
eine namenlose Afrikanerin eine bessere Zukunft erwartet, erhofft, erträumt,
begleitet und verfolgt von den Stimmen aus ihrer Vergangenheit und von ganz
realen Quälgeistern aus den Schlepperorganisationen.
Sie ist und bleibt namenlos, so wie die vielen AfrikanerInnen, die es nach
Italien, Deutschland, Österreich oder sonstwohin geschafft haben, um dort
das Zerplatzen ihrer Träume zu erleben, um gefälschte Sonnenbrillen,
Handtaschen und andere angebliche Luxuswaren auf den Brücken Venedigs
oder den Plätzen Roms zu verhökern, stets auf der Flucht vor der Polizei.
Oder um – schon eine Stufe höher auf der sozialen Leiter derer da ganz
unten – schlechtest bezahlte Arbeiten zu verrichten, die kein europäischer
Arbeiter leisten würde, nicht angemeldet, nicht versichert. Oder gar - was
schon geradezu Ansehen verspricht – in Graz die Straßenzeitung Megaphon
zu verkaufen. Vielleicht das Glück zu haben, von einer der Einwanderer-
Organisationen betreut zu werden. Oder in die Illegalität abzusinken und
zum Drogendealer zu werden. Oder als vermeintlicher Krimineller von der
Polizei wortlos und ohne Begründung in einer U-Bahn-Station niedergeprügelt
zu werden. Oder, oder, oder …
Beispiele ließen sich ausreichend finden, die den Hintergrund darstellen, vor
dem Fiston Mujila Mwanzas Stück spielt. Als Stadtschreiber lebte er ein
Jahr in Graz und verfasste unter anderem in der Straßenzeitung Megaphon
die monatliche Kolumne "Briefe an die Heimat".
In der April-Ausgabe 2010 schrieb er seinem Freund Elie, einem guten Freund
und Friseur in Lubumbashi, dass er seine Bücher in Graz, seine Brillen in
Lubumbashi und seine Träume am Yangtse-Kiang habe: "Von einem Tag auf
den anderen erfinde ich ein zweites, drittes, viertes Land … Das erste Wunder
eines schwarzen Poeten (?). Oder sollte ich nicht doch besser meinen Kopf
beim nächsten Psychologen reparieren lassen? Mein Land, dieser Mann der
über die Brücke der Freiheit hinwegschreitet. Ich weigere mich, sein Ablaufdatum
noch den Geruch seiner Hände zu kennen."
Auf die Frage einer Reporterin nach den Gefühlen gegenüber den ehemaligen
Kolonialmächten antwortete Mwanza: "Ich fühle keine Wut. Die Kolonialzeit
gehört zu meiner Geschichte, aber ich habe sie selbst nicht erlebt. Man darf
diese Vergangenheit nicht vergessen, da sie Teil unserer Geschichte ist. Ein
Volk ohne Vergangenheit ist ein Volk ohne Seele."
Mwanza ist es gelungen, ohne Mitleidhascherei und Sozialkitsch eine brisante
zeitgenössische Stückvorlage zu einem hochaktuellen Thema aus der Sicht
eines Afrikaners zu entwerfen.
Peter Wolf
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Ich werde sterben wie ein Mensch, nicht wie ein Arbeitstier …
Sie hätte nicht der Stimme ihres Herzens folgen dürfen! Eine Falle! Weggehen,
einfach so, um mitten im Winter anzukommen, im Schnee, ohne Schuhe, ohne
Papiere, ohne Wohnung, ohne Einkommen, ohne Familie und krepieren wie ein
rheumatischer Hund, an Herzinfarkt, Lungenentzündung oder einer beschissenen,
dreckigen, gemeinen, feigen, schäbigen Schweineruhr …
Wer? Meine Schwester! Meine eigene Schwester, Fleisch von meinem Fleisch,
Blut von meinen Blut! Und Sie wollen, dass ich Ihnen vom Schnee erzähle! Ich
mag den Schnee nicht!
Ich erzähle Ihnen lieber was von Prostituierten, von Haschisch, von Warzen-
schweinen, von weißen Nashörnern, von Untoten und Massakern im Totenreich,
von Schleppern, von Aasgeiern, von Schmieröl, von Säufern, von Betrügern.
Sehen Sie mich nicht so an! Ich mag keinen Schnee! Ich lebe nicht für den
Schnee! Ich komme im Schnee nicht zur Ruhe! Ich protestiere nicht im Schnee!
Ich schlottere nicht im Schnee! Ich knistere nicht im Schnee! Ich schlafe nicht im
Schnee! Belästigen Sie mich nicht weiter mit Ihren Geschichten ohne Sinn und
Verstand! Der Schnee steht im Kontrast zu den Predigten vom Einverständnis
zwischen zwischen Menschen anstelle gegenseitiger Missachtung. Der Schnee
ernüchtert die von der Muttersonne trunkenen Raben! Und Sie, Sie kommen mir
ganz und gar ungelegen, wenn Sie mich nötigen wollen, Ihnen vom Schnee zu
erzählen, von diesem dreckigen Schnee der Herrenmenschen …
Meine Schwester, ja, die liebte den Schnee. Ja. Möge sie im Schnee ruhen! Oh,
Verzeihung, möge sie in Frieden ruhen! Sie hat uns angebrüllt, sie wolle den
Schnee anfassen, die Ärmste! Schade! Ihre Lieder schlagen mir auf den Magen.
Hören Sie, verehrte Anwesende, ich bin Marxist-Leninist und laut "Kapital" ein
Mensch … Ich werde für Sie von A bis Z den Nachweis führen, warum ich
keinen Schnee mag … Ich mag keinen Schnee, weil … durch den Umstand …
in dem Maße … unter der Voraussetzung … aufgrund der Tatsache, dass der
Schnee und der Schnee im Übrigen …. Hören Sie, verehrte Anwesende, ich mag
keinen Schnee! Schnee tötet, Schnee ist heimtückisch und kappt die Wärme, so
dass nichts mehr fließen kann …Schnee ist der Einstieg zu Spruchbändern und
Chaos … Schnee …
Eurem stinkenden wintergrauen Schnee ziehe ich bei weitem meine sengende
Sonne vor, meine Sonne aus Fleisch und Blut! Anstatt mich in eurem verteufelten
Schnee herumzuschleppen, ziehe ich es vor, am Abend in aller Ruhe eine Zigarette
zu rauchen! Um nichts in der Welt würde ich mein Leben gegen einen Schneeball
eintauschen! Tausendmal lieber sind mir da meine Verrücktheit, meine Übelkeit,
meine Schizophrenie, mein stinkender Wundbrand …
Ich mag keinen Schnee! Ich mag keinen Schnee!
Hören Sie, verehrte Anwesende, meine Schwester mochte den Schnee, sie ist
losgezogen und hat ihren Schnee gekriegt, sie hat ihn gesehen und angefasst und
dann … hat sie wie der Held einer griechischen Tragödie ihr Leben ausgehaucht!
Erhängen Sie mich, foltern Sie mich, erschießen Sie mich, aber verlangen Sie nicht
von mir, Ihnen vom Schnee zu erzählen! Ich werde sterben wie ein Mensch, nicht wie
ein Arbeitstier …
Ich mag keinen Schnee! Das ist meine universelle Menschenrechtserklärung: Ich
mag keinen Schnee!
(Stückausschnitt)
aus GOTT IST EIN DEUTSCHER © 2010 Fiston Mwanza
(Übersetzung: Tino Sekay, Bearbeitung: Ernst M. Binder)
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Fiston Mwanza Mujila wurde 1981 in Lubumbashi (Demokratische Republik
Kongo) geboren und studierte angewandte Pädagogik, Geisteswissenschaften
und Humanwissenschaften. Im Jahr 2001 erhielt Mwanza den Prix de poésie für
Regard Catangais sur la Francophonie, 2002 den Prix de la nouvelle für Entre les
bras du fleuve Congo und 2005 den Prix Mwangaza für sein Poem Femme -
Calebasse.
Sein Schreiben, lebhaft, schelmenhaft, barock, nährt sich aus dem Chaos und
den politischen Turbulenzen seines Landes seit dem Erlangen der Unabhängigkeit.
32 Jahre Diktatur, 16 Jahre des Übergangs, mehr als 65 politische Parteien,
Spaltungen und Befreiungskriege, haben Auswirkungen auf das kulturelle Klima
des Landes und auf die literarischen Kreise. Es gibt kaum Publikationsmöglichkeiten.
Dieses Klima des Chaos hat bei Mwanza das lebhafte Bedürfnis geweckt, sich
schreibend auszudrücken.
2007 ging Fiston Mwanza Mujila nach Europa, erst wohnte er in Belgien und Paris,
seit 2009 in Graz. Mit seinen Gedichten, Prosaarbeiten und Theaterstücken
reagiert Mujila auf die politischen Turbulenzen, die der Unabhängigkeit des Kongo
folgten, und deren Auswirkungen im täglichen Leben. Seine Texte bilden, wie es
in einem seiner Gedichte heißt, eine "Geografie des Hungers" nach Frieden,
Freiheit und Brot. Sein erstes Theaterstück "Te voir dresser sur tes deux pattes
ne fait que mettre l’huile au feu..." wurde 2009 bei den Theatertagen in Lyon
prämiert und in französischer Sprache uraufgeführt.
Für seine Arbeit erhielt er 2008 das bedeutende "Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung"
im Heinrich-Böll-Haus in Langenbroich in Köln, 2009 bei den "6. Jeux de la
Francophonie" im Libanon die Goldmedaille und 2010 den Preis für das beste Stück
bei der "Biennale Staatstheater Mainz".
Seine Texte erschienen im französischen Original und in Übersetzungen in Afrika und
mehreren europäischen Ländern in zahlreichen Zeitschriften und Anthologien; auf beiden
Kontinenten tritt er auch seit 2002 bei Lesungen und Festivals auf.
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